Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
runterzudrehen, als die Innenbeleuchtung kurz aufflammte und der Wagen schwankte. Sie drehte ihren Kopf, um nachzusehen, wer eingestiegen war, als ein harter Schlag ihre rechte Wange traf. Gleich darauf legte sich eine behandschuhte Hand über ihren Mund und riss ihren Kopf gegen die Stütze.
"Keinen Laut und nicht umdrehen!" , krächzte die Stimme. Zögernd ließ die Hand wieder los.
Lin rutschte alles Fühlen in den Magen.
"Was wollen Sie von mir?", wollte sie sagen, aber es wurde nur ein erschrecktes Flüstern. Der Weg ihrer Hand bis zum Handschuhfach erschien ihr kilometerlang.
"Nur, dass Sie stillhalten. Sehen Sie sich den Film an. Genießen Sie ihn !", krächzte es.
Auf der Leinwand wurde gerade ein Skelett entdeckt. An den Knochen hingen modrige Fleischstücke. Das hielt den Genuss in Grenzen.
Die Handschuhhand begann Lins obere Trenchcoatknöpfe aufzuknöpfen. Das harte Leder glitt über ihre Haut, umfasste ihren Hals, streichelte ihre Brüste. Die zweite Hand kam von der anderen Seite aus der Dunkelheit heran geschwebt, öffnete ihren Gürtel und die restlichen Knöpfe des Mantels. Die rechte Hand glitt wieder zum Hals hinauf, die linke begann ihre Schenkel zu streicheln. Schemenhaft nahm Lin auf der Leinwand einen Jungen wahr, der sein Fahrrad zur Gleistauglichkeit aufgemotzt hatte. Er hatte einfach die Reifen entfernt und raste auf den Felgen eine abschüssige Schienenspur entlang und wurde dabei immer schneller. Der Junge schrie vor Vergnügen und gleichzeitig vor Angst. Lin spürte die Angst wie einen dicken Klumpen im Bauch, und die Lust schoss von unten rote Pfeile hinein.
Plötzlich legten sich beide Hände um ihren Hals und drückten zu.
"Du hörst wieder von mir", hörte sie die Stimme wieder. "Ich habe dreißig Fotos, zehn lasse ich hier."
Die Hände blieben noch einen Augenblick um ihren Hals gespannt. Lin begann zu keuchen und zu würgen. Dann ließ der Druck nach, die Innenbeleuchtung des SAAB zuckte wieder auf. Die hintere Türe fiel ins Schloss.
Die nachlassende Spannung trieb Lin Tränen in die Augen . Sie spürte immer noch das raue Leder auf der Haut ihres Halses.
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Am nächsten Tag nahm Daniel sich ganz überraschend frei. Obwohl dieser Samstag schon komplett mit angeblich unaufschiebbaren Terminen vollgepflastert gewesen war, schaffte er es, sich von seiner Firma zu lösen.
"D u freust Dich bestimmt auch, mit mir gemeinsam einen freien Samstag zu haben", sagte er gutgelaunt zu Lin.
" Bestimmt tue ich das. Aber wie kannst du das tun in dieser prekären politischen Lage?", neckte ihn seine Frau. Gestern Abend hatte Daniel ihr noch lang und breit erklärt, wie die Textilfirma den Krieg in Jugoslawien auszunutzen gedachte.
Daniel hatte prophetisch geantwortet: "Ich bin sicher, dass die EG-Troika scheitern wird. In Jugoslawien sind diese Dorfherren, die sich Volksführer nennen, nicht an einer friedlichen Lösung der Lage interessiert. Sie sind so fasziniert von einer militärischen Lösung, dass sie die Wirtschaft aus den Augen verlieren.
Also werden wir die Flachs- und die Hanfernte kaufen. Sie wird nicht sehr teuer sein. Vielleicht ist sie am Montag sogar noch billiger." Lin staunte. Daniel fand es offensichtlich völlig normal, am Unglück anderer Menschen Geld zu verdienen, seine Chance zu nutzen, würde er wahrscheinlich sagen
Lin und Daniel verbrachten den Tag in der Galerie.
Als sie sich gegen 23.00 Uhr, etwas erschöpft aber durchaus ausgeglichen und guter Dinge, in ihrem Wohnzimmer in die Sitzpolster fallen ließen, ertönte das Telefon.
"Die politische Entwicklung schlägt zu", sagte Lin seufzend und angelte das Telefon heran.
Die Stimme krächzte: "Wie gefallen dir Autokinos?"
Lin spürte , wie sich ihr Magen zusammenzog.
"Was ist los?" Mehr brachte sie nicht hervor.
Daniel sah forschend zu ihr hinüber. Lin verdeckte den Telefonhörer mit der Hand: "Ein Verrückter!" , flüsterte sie.
"Du möchtest noch ein Paket Fotos erwerben?" , tönte der Anrufer weiter. Auch jetzt war von der Stimme her schwer zu entscheiden, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Nach ihrem Erlebnis im Autokino tendierte Lin zum Mann, aber sicher war sie sich immer noch nicht.
"Schlafen Sie doch erst ein mal ihren Rausch aus", rief Lin in den Hörer, der das Ganze im Beisein von Daniel umso peinlicher und verwirrender war. Inzwischen war Daniel unbemerkt herangekommen und nahm Lin den Hörer aus der Hand. Er hielt ihn an sein Ohr.
"Na, was ist denn da los?
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