Im Namen der Engel: Die überirdischen Fälle der Bree Winston 1 (German Edition)
Engel sind ebenfalls allgegenwärrtig. In den Sphären gibt es keine künstlichen Trennlinien.«
»Verstehe«, sagte Bree trocken. Petru hatte einen Ausdruck in den Augen, der ihr ganz und gar nicht gefiel. Für religiöse Spinner hatte sie nicht sonderlich viel übrig. Sie knüllte das Taschentuch zusammen und suchte nach einem Papierkorb. Sie hatte vergessen, einen Papierkorb zu kaufen.
»Und dann ist da natürrlich noch der Kormoran.«
»Natürlich«, pflichtete Bree ihm bei. »Ein großer Tauchvogel, nicht wahr? Den man, glaube ich, zum Fischen abrichten kann.«
»Er ist ein Fischer von Menschenseelen«, erwiderte Petru. Dann zitierte er mit sonorer Stimme, die wie eine Kesselpauke durch das kleine Zimmer dröhnte: » So sprach der Engel; der Zauber seiner Stimme/So in Adams Ohren hallte, Dass der ihn, lauschend, noch zu hören meinte. « Er strahlte sie an. »Das hat der Patriarch in Auftrag gegeben. Johns grrößtes Werk, wie ich meine.«
»John?«, fragte Bree verblüfft zurück. »Welcher John?«
»Milton. Das verlorene Paradies. «
Bree biss sich fest auf die Lippe. »Verstehe«, presste sie hervor.
»Sie lachen«, stellte Petru fest, ohne im Geringsten beleidigt zu sein. »Ja, ja, so ist es.«
»Ich bitte um Entschuldigung, aber …« Sie verstummte mitten im Satz.
Petru sah sie an. »Aber was?«, hakte er nach.
»Nichts. Nichts.« Sie legte die Hand vor die Augen, als wolle sie sie gegen ein helles Licht abschirmen. Nichts ergab einen Sinn. »Ich bin wie ein aufgescheuchtes Huhn herumgerannt, um das Büro einzurichten. Ich bin ein wenig übermüdet, das ist alles.«
Petru saß unbeweglich da. Doch Bree hatte plötzlich den schockierenden Eindruck, dass er sich in etwas anderes verwandelt habe. Er war nicht mehr der schäbige, heruntergekommene Emigrant, sondern ein fest umrissenes Stück Dunkelheit. Sie zwang sich, die Augen zu öffnen und ihn anzusehen.
Er lächelte sie mit derart unwiderstehlicher Freundlichkeit an, dass sie einfach zurücklächeln musste. »Es ist nicht nötig, dass Sie mich einstellen«, sagte Petru gelassen. »Manchmal ist es schwierig, miteinander auszukommen, wenn man unterrschiedliche Lebenserfahrungen hat. Und viele von euch Amerikanern misstrauen uns Russen ein bisschen, nicht wahrr?« Er zuckte die Achseln. »Ich kann Ihnen verrsichern, dass ich weder ein Mitglied unserer Mafia noch des KGB bin und dass mein Herz auch nicht mehr der Kommunistischen Partei gehört.« Er machte Anstalten, sich zu erheben.
»Ich misstraue den Russen in keiner Weise«, stellte Bree fest. Nur Leuten, die von toten Dichtern sprechen, als hätten sie gestern mit ihnen zu Abend gegessen, dachte sie bei sich. »Das dürfen Sie nicht denken. Das ist absurd.« Mit großer Anstrengung riss sie sich zusammen. Sie hatte diesen Mann zu einem Einstellungsgespräch bestellt, verdammt noch mal, und genau das würde sie jetzt auch führen.
Bloß dass sie nicht ihn bestellt hatte, sondern seine Schwester. Sie starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Das heißt, falls er tatsächlich eine Schwester namens Rosa hatte. Auf einmal war sie sich keiner Sache mehr sicher.
Sascha, der in seiner Ecke lag, erhob sich ächzend und humpelte an Bree vorbei zu Petru Lucheta. Er schob die Schnauze auf das Knie des Mannes, ließ sich tätscheln, humpelte in seine Ecke zurück und legte sich wieder schlafen. Das war so deutlich, als hätte er gesagt: Kein Grund zur Sorge. Ein wenig Exzentrizität hat noch niemandem geschadet.
Bree atmete tief ein, hielt die Luft an und beschloss, sowohl ihrem Hund als auch ihrer inneren Stimme zu vertrauen. »Haben Sie einen Lebenslauf bei sich, Mr. Lucheta?«
»Bitte sagen Sie Petru zu mirr. Ich kann Ihnen meinen Pass geben, die hiesige Adresse meiner Schwester Rosa, wo ich wohne, und meine Zulassung als Rrechtsanwalt für Petrograd.« Er zog ein Bündel Dokumente aus der Anzugjacke und legte es auf die auf der Truhe liegenden Zeitung. Zuoberst lag die Seite mit dem Artikel über den Vorfall bei Huey’s. Er warf einen Blick darauf, sah Bree an und lächelte wie ein bärtiger Cherub.
Ohne auf sein Lächeln zu achten, überprüfte Bree den Pass und die Zulassung, ein Stück Pergament mit goldenem Siegel. Das Pergament war mit kyrillischen Buchstaben beschriftet. Er war also tatsächlich Russe. Und behauptete, Rechtsanwalt zu sein. Sie konnte die kyrillische Schrift nicht lesen; das Ganze hätte ebenso gut eine Zulassung sein können, die ihn berechtigte, dreimastige Schoner
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