Im Namen der Engel: Die überirdischen Fälle der Bree Winston 1 (German Edition)
Tränen auszubrechen. Anschließend atmete sie tief durch. »Ich vermisse ihn«, sagte sie. »Er war sehr alt, wissen Sie, und über seine Zeit hinaus, wie Mama immer gesagt hat. Aber was heißt das schon? Seine Zeit. Über seine Zeit hinaus. Ich wünschte, er hätte ewig gelebt.« Tränen traten ihr in die Augen und liefen ihr über die Wangen.
»Tja.« Carlo räusperte sich und blickte betreten zu Boden. Sie presste die Handrücken unter ihre Augen und holte erneut tief Luft. Sie war gerade dabei, die Beherrschung zu verlieren. Und das vor einem der einflussreichsten Männer der Stadt. »Sorry. Also, zu Ben Skinner …«
»Ich weiß, dass Liz davon überzeugt ist, jemand habe den alten Knaben abgemurkst«, unterbrach er sie. »Je eher das aufgeklärt wird, desto besser. Was wollen Sie dazu wissen?«
Bree stellte ihm die Fragen, die sie sich vorher zurechtgelegt hatte. Ja, Skinner war an die Decke gegangen, als er erfahren hatte, dass das Tybee-Island-Bauprojekt geändert worden war, und richtig, sein Zorn hatte sich gegen Unschuldige wie Schuldige gerichtet. Er hatte gedroht, Montifiore alle Aufträge zu entziehen, und ja, das hätte ein empfindliches Loch in Carlos Finanzen gerissen. »Wir haben die meisten seiner Projekte hier in Georgia ausgeführt«, erklärte Carlo, »und der alte Dreckskerl hat es bestens verstanden, mir auf die Nerven zu gehen. Das steht völlig außer Frage.« Er führte Bree zum Büro hinaus und ging mit ihr die Marmortreppe nach unten. »Aber die Finanzierung des Island-Dream-Projekts war auf jeden Fall gewährleistet, sodass das Projekt selbst nicht gefährdet gewesen wäre.«
»Selbst wenn Skinner sein Geld zurückgezogen hätte, wäre also noch genug Geld da gewesen?«
Carlo zuckte die Achseln. »Es ist nie ein Problem, Geld aufzutreiben. Außerdem habe ich angenommen, dass sich der Sturm in ein oder zwei Monaten wieder gelegt hätte.«
»Sie haben es angenommen ?«, hakte Bree nach.
»Na ja, vermutlich sollte ich besser sagen, gehofft .« Er folgte Bree, als sie durch die prachtvolle alte Eingangstür auf den Bürgersteig trat. Bree drehte sich ihm zu. »Wo waren Sie an dem Nachmittag, als Mr. Skinner gestorben ist?«
»Hier.« Carlo wandte sich um und blickte an der Fassade des Hauses hoch. »Genau hier. Das können etwa zwanzig Leute bezeugen, die ebenfalls hier waren.«
Dass sie empfinde, wie es schärfer nage
Als Schlangenzahn, ein undankbares Kind
Zu haben! …
Shakespeare, König Lear
»Natürlich sind wir aufrichtig betrübt über seinen Tod«, sagte Jennifer Skinner. »Er war ein richtiger alter Knuddel.«
»Das hat vermutlich auch die Mutter von King Kong gesagt«, murmelte Grainger Skinner vor sich hin. Er goss zwei Fingerbreit Tanqueray in seinen Gin Tonic nach und lächelte Bree an. »Darf ich bei Ihnen auch auffüllen?«
Bree warf einen Blick auf ihr Glas. Sie hatte ganz vergessen, wie sehr sie Gin Tonic mochte, besonders wenn der Nachmittag warm war und die Sonne strahlte. »Nein danke«, erwiderte sie. Sie rutschte auf der Steinbank hin und her, die feucht, hart und unbequem war. Trotzdem war Jennifers Garten spektakulär. Viele der Villen in der Altstadt hatten eingezäunte Gärten hinter oder neben dem Gebäude, und der der Skinners war einer der prachtvollsten. Das gesamte Gelände war von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben (dessen Design, wie Bree mit einiger Erleichterung feststellte, aus ganz normalen Akanthus- und Efeublättern bestand) und mit Ziegelsteinen gepflastert. Die nördliche Hälfte des Gartens wurde von einer riesigen Eiche dominiert, in deren Schutz eineinhalb Meter breite Herzblattlilien, enorme Freesienbüsche und hüfthohe Glockenblumen wuchsen. Die südliche Hälfte des Gartens war mit Azaleen und Rhododendren bepflanzt. Bree wünschte, sie hätte den Garten im Frühjahr gesehen, wenn diese Büsche in voller Blüte prangten. Zwischen den Büschen standen Rosen und Hortensien, die aber nur noch Spuren ihrer einstigen sommerlichen Pracht zeigten. An den hinteren Teil des Hauses war eine Open-Air-Küche angebaut worden, die sie ziemlich protzig fand. In der Mitte des aus Ziegeln gemauerten U prunkte ein Grill aus rostfreiem Stahl. Ein hoher Kühlschrank und eine große Doppelspüle aus italienischen Kacheln flankierten den Grill. Grainger und Jennifer saßen an einem langen Gartentisch; Bree hatte sich auf die Steinbank am Rande des kleinen Springbrunnens zurückgezogen, wo eine Nachbildung der Niobe Tränen in das steinerne Becken
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