Im Namen der Engel
Bree, Sie müssen es hierlassen.«
»Unsinn.« Sie hob es mit beiden Händen hoch. Es war leichter, als es aussah. »Wenn ich will, kann ich das verdammte Ding ja jederzeit verbrennen.«
»Wenn ich du wäre, würde ich das verdammte Ding verbrennen«, sagte Antonia. »Was hattest du denn gegen den Spiegel, der über dem Kamin hing? Der war doch seit zig Jahren im Besitz der Familie.«
Es war Onkel Franklins Spiegel; Bree konnte sich noch an den Tag erinnern, an dem er ihn über den Kamin gehängt hatte. Der vergoldete Rahmen war kunstvoll gearbeitet. Als sie den Spiegel abgenommen hatte, um stattdessen das Gemälde aufzuhängen, hatte er sich als unerwartet schwer erwiesen.
»Den mochte ich«, beschwerte sich Antonia. »Das Ding da mag ich aber nicht.«
»Ich habe den Spiegel im Wandschrank in der Eingangshalle verstaut. Und über das Gemälde möchte ich lieber nicht sprechen.« Bree drehte sich um und betrachtete ihre Schwester, die auf dem Sofa lümmelte, das mit Chintz bezogen war. Heroischerweise brachte sie es fertig, nicht auszurasten. »Ich kann es immer noch nicht fassen , dass du einfach hier aufgekreuzt bist, ohne wenigstens vorher anzurufen.«
Antonia rekelte sich auf dem Sofa. Ihr Rucksack lag auf dem Schaukelstuhl neben dem Kamin. In der Nähe der Haustür stand ein großer, prallvoller Campingbeutel. Als Bree nach Hause gekommen war, war sie darüber gestolpert und hatte sich fast das Genick gebrochen.
»Kann mich nicht daran erinnern, dass das Haus nur dir gehört«, erwiderte Antonia barsch. »Ich habe wie alle anderen in der Familie auch Schlüssel dafür.« Sie streckte sich auf dem Sofa aus. Bree stand am Kamin, auf dessen Sims das Gemälde lehnte. Sascha humpelte zwischen den beiden hin und her.
»Leg dich hin, Sascha«, sagte Bree und zeigte auf den Fußboden.
Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich neben dem Couchtisch nieder.
»Du solltest dich was schämen. Du machst ja den armen Hund ganz nervös.« Antonia klopfte auf das Polster und gab einen zirpenden Laut von sich. »Komm, mein Süßer. Leg dich hier zu mir.«
»Als ob er mit seinem verbundenen Bein aufs Sofa springen könnte.« Bree räumte Antonias Rucksack weg und ließ sich in den Schaukelstuhl am Kamin sinken. Während sie ihre Schwester ansah, stieß sie einen Seufzer aus, der dem Saschas so sehr ähnelte, dass sowohl Antonia als auch der Hund zusammenfuhren.
Antonia war sechs Jahre jünger als Bree. Die beiden Schwestern sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Antonia hatte braune, Bree grüne Augen, Antonia hatte kastanienbraunes Haar, Bree silberblondes – und sie war kaum mehr als einen Meter sechzig groß. Nur ihre Stimmen klangen ähnlich, lieblich und honigsüß, wie ein bescheuerter Freund von Antonia einmal gesagt hatte.
Mit fünfzehn Jahren hatte Antonia beschlossen, Schauspielerin zu werden, und zwar nachdem sie sich fünf Mal hintereinander Grease angesehen hatte, das von einer Tourneetruppe aufgeführt worden war. Jahrelange Sprecherziehung hatte bewirkt, dass Antonias Stimme tiefer und voller wurde, doch selbst jetzt kam es noch vor, dass man die beiden Schwestern am Telefon miteinander verwechselte.
»Du musst einen neuen Rekord im Abbrechen des Studiums aufgestellt haben«, stellte Bree fest. »Wie lange läuft der Unterricht jetzt schon? Zwei Tage?«
Antonia hob die Beine und streckte sie über den Kopf, ohne den Rücken zu wölben. »Ein paar Wochen. Und ich habe die Studiengebühr zurückbekommen.« Sie senkte die Beine, um die Übung dann mühelos zu wiederholen.
»Und was für einen Grund hattest du diesmal?«, fragte Bree. Sie klatschte sich leicht gegen die Stirn. »Natürlich. Wie dumm von mir. Du hast die Aussicht, beim Savannah Rep vorsprechen zu dürfen. Keine sichere Sache mit festem Termin und so, nein, nur die Aussicht.«
»Es geht darum, dass man eventuell auf mich zurückkommt«, stellte Antonia gleichmütig richtig. »Vorgesprochen habe ich heute Nachmittag schon. Bree, die waren begeistert von mir!«
»Natürlich waren sie begeistert von dir. Du bist absolut phantastisch. Ganz zu schweigen davon, dass du äußerst begabt bist. Obwohl es so aussieht, als würdest du phantastisch, begabt und halbgebildet sein, wenn du dauernd das Studium schmeißt. Um was für eine Rolle geht es noch mal?«
Antonia richtete sich ruckartig auf. »Um die der Irene Adler, in diesem fabelhaften neuen Stück über Sherlock Holmes.«
»Für Sherlock Holmes war das immer DIE Frau.« Auf der Highschool
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