Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
mit dem Foto gemein, das er online gefunden hatte. Diese Frau wirkte jünger, und sie hatte vor allem kurzes Haar. Er beschloss, auf der Hut zu bleiben, und nickte nur.
«Sie haben mir nicht geantwortet», sagte sie.
«Nein», sagte Doni. Und dann mit härterer Stimme: «Nein, ich habe Ihnen nicht geantwortet. Könnte ich Ihren Ausweis sehen?»
«Wie bitte?»
«Ihren Presseausweis, bitte. Wie sind Sie denn hereingekommen?»
Sie war sprachlos. Dann wühlte sie in ihrer weißen Einkaufstasche und nahm die Papiere heraus. Sie reichte sie ihm.
«Ich bin Publizistin», sagte sie. «Wie ich Ihnen geschrieben habe, arbeite ich freiberuflich.»
Doni warf einen kurzen Blick auf den Ausweis.
«Und wie sind Sie hereingekommen?», fragte er noch einmal.
«Na ja … Ich habe an der Rezeption nach Ihnen gefragt, und man hat mir den Weg beschrieben. Das war’s.»
«Das war’s.»
«Eigentlich ganz einfach. Hätte ich gar nicht gedacht.»
«Wem sagen Sie das.»
Einen Moment lang schwiegen sie. Doni schaute auf und bemerkte ihr geblümtes Kleid, ein bisschen im Stil der Sechziger und für diese Gelegenheit unpassend. Sie war sehr dünn.
«Jedenfalls bin ich vorbeigekommen, eben weil Sie mir nicht geantwortet haben, die Zeit drängt. Ich muss kurz über Khaled Ghezal mit Ihnen sprechen.»
Doni schüttelte den Kopf. «Auf gar keinen Fall.»
Sie trat einen Schritt vor.
«Dottore, ich weiß ja. Sie denken wahrscheinlich, ich bin verrückt oder will nur ein Interview. Aber so ist es ganz und gar nicht.»
«Das ist eine Frage jenseits aller …»
«Das weiß ich doch.» Sie ließ nicht locker. «Ich weiß, ich weiß, bitte hören Sie mir nur einen Augenblick zu. Ich bin in diesen Dingen nicht geübt, und glauben Sie mir, es ist das erste Mal, dass ich an einen Staatsanwalt schreibe und dann auch noch einfach so aufkreuze … Also, das ist absolut unüblich und keineswegs die Norm, nicht wahr?» Sie lächelte, scheinbar entwaffnet, sprach jedoch sofort weiter: «Tja, also. Wie ich Ihnen in meiner Mail bereits erklärt habe, ist Khaled wirklich unschuldig. Er hat nicht geschossen. Er war nicht mal am Tatort, als es passierte. Er ist ein anständiger Kerl und hat nie was Unrechtes getan, noch nie in seinem Leben hat er eine Pistole in der Hand gehabt. Ich kenne Leute, die das bestätigen können. Sie wissen das genau, und sie wissen auch, wo er an jenem Abend war, wo er sich aufhielt und was er tat. Ich kann mir denken, dass das alles verrückt klingt, mit dem Kuddelmuddel, der nun zum Vorschein kommt, doch es ist die Wahrheit. Sie müssen mir glauben.»
Doni wartete einen Augenblick, dann entschied er sich für einen sarkastischen Ton.
«Aber ich glaube Ihnen ja. Wenn Sie so viele Beweise haben, brauchen Sie sie nur Ghezals Anwalt zu übergeben, er wird sie in der Berufung alle vorlegen.» Er grinste. «Falls Sie es noch nicht begriffen haben, ich bin hier der Böse.»
«Ja.»
«Auch ich habe Berufung eingelegt. Ich bin es, der die strafmildernden Umstände, auf die in erster Instanz erkannt wurde, für schwächer hält als die belastenden. Wussten Sie das?»
Sie starrten sich an, ohne den Blick abzuwenden.
«Ja. Ja, ich weiß.»
«Und weiter?», fragte Doni.
Sie schüttelte den Kopf und griff sich an den Hals. Dann senkte sie den Blick.
«Ich habe kein Vertrauen zu Dottor Caterini.»
«Was meinen Sie damit?»
«Rechtsanwalt Caterini, Khaleds Verteidiger. Ich traue ihm nicht.»
«Und warum nicht?»
«Weil … Na ja, weil ich schon bei ihm war. Er ist ein Idiot. Verzeihen Sie, doch auf mich hat er den Eindruck gemacht, als könnte er eine Frage nicht von einer Behauptung unterscheiden. Er hat mich nach zehn Minuten mit der Begründung weggeschickt, er habe bereits genügend Material für eine niedrigere Strafe beisammen, und überhaupt seien alle Möglichkeiten ausgelotet, es gebe keinen Grund, noch weitere Personen hinzuzuziehen, der Fall sei schon schlimm genug, man müsse den Schaden begrenzen, es sei zwar eine Tragödie und so weiter, gewiss, aber mehr sei nicht drin.»
Doni entschlüpfte ein Lächeln. Genau das dachte auch er über diesen Anwalt – womöglich dachten sogar alle so. Über Enrico Caterini, den Sohn eines alten IKP -Kämpfers, Rhetorik im Überfluss und fast nichts dahinter.
«Er kam mir, wie soll ich sagen, ideologisch verbohrt vor. Als wäre Khaled ein armer Teufel, der aus Versehen oder schuldhaft in eine größere Sache hineingeraten ist, er und alle unglückseligen Immigranten
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