Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
seinesgleichen.»
Donis Lächeln wurde breiter. Das war ja noch besser. Diese junge Frau ging den Anwälten der Linken nicht auf den Leim.
«Aber Khaled braucht keine Bestätigung der Strafe. Khaled ist unschuldig, verstehen Sie? Deshalb kann ich mich nur auf Sie stützen, so absurd das auch klingen mag.» Sie hielt kurz inne, doch Doni antwortete nicht. Nervös kratzte sie sich die Wange, dann fügte sie hinzu: «Außerdem … Nun ja, keiner der Zeugen will vor Gericht erscheinen. Sie alle haben Angst, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlieren, oder fürchten Repressalien.»
«Typisch.»
Doni stand von seinem Stuhl auf und ging um den Schreibtisch herum.
«Hören Sie», sagte er. Wieder hatte er seinen Tonfall geändert. «Ihren, sagen wir, Gemeinsinn in allen Ehren und auch Ihr Engagement für diesen komplizierten Fall, doch es gibt Verfahrensregeln. Und dieses Gespräch verstößt gegen alle Vorschriften. Ich habe nicht die Absicht, es fortzusetzen.»
«Und warum nicht?»
«Das habe ich Ihnen doch gerade erklärt.»
«Aber ich sage die Wahrheit.»
«Das spielt keine Rolle.»
«Das spielt keine Rolle? Was spielt dann überhaupt eine Rolle?»
Doni seufzte. Er konnte nicht glauben, dass er bis an diesen Punkt gekommen war.
«Die Justiz ist eine komplexe Maschinerie», sagte er. «Sie arbeitet nach präzisen Mechanismen, und diese Mechanismen dürfen nicht ignoriert werden. Natürlich ist die Wahrheit das einzig Wichtige, allerdings nur, wenn sie alle vom Gesetz vorgeschriebenen Stationen durchlaufen kann. Es ist traurig, es ist schlimm, aber so ist es nun mal. Die Alternative dazu wäre das Chaos. Und jetzt bitte ich Sie …»
«Demnach gilt ein Mensch, der unschuldig ist, nur deshalb als schuldig, weil irgendwer nicht die Kraft hatte, Kopf und Kragen für ihn zu riskieren? Denn darum geht es hier doch, Dottore. Wenn meine Zeugen vor Gericht erscheinen, sind sie geliefert, so oder so. Es kommt heraus, dass sie keine Aufenthaltserlaubnis haben, und sie müssen zurück, oder aber der wahre Schuldige findet sie und bringt sie um. Doch wen juckt das schon, nicht wahr? Es sind ja bloß Kanaken!»
Doni stand der Mund offen.
«Was erlauben Sie sich? Darum geht es hier doch gar nicht.»
«Im Grunde schon. Und wie. Wenn jemand nicht als Zeuge auftreten kann, weil sein Leben in Gefahr ist, muss das Gesetz ihn schützen.»
«Und das tut es auch.»
«Aber nur in der Theorie, Dottore, machen wir uns doch nichts vor. In der Praxis reißt sich niemand ein Bein aus, um illegale Einwanderer zu beschützen oder ihnen Sicherheiten zu geben. Sehe ich das falsch?»
«Hören Sie, ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.»
«Auf meinen Ausgangspunkt. Sie müssen mit diesen Leuten reden. Und ich schwöre Ihnen, dass ich mich hier erst wegrühre, wenn Sie die Polizei gerufen haben, denn in dieser Sache geht es nicht nur um mich oder Sie. Das ist mein voller Ernst.»
Doni war klar, dass er sie nicht so ohne weiteres loswerden würde. Er hätte natürlich die Polizei rufen müssen, doch dazu hatte er keine Lust. Er hatte es satt, und er hatte es besonders satt, sich mit einem Eindringling herumplagen zu müssen, der überhaupt nicht hätte da sein dürfen, der schon vorher hätte abgefangen werden müssen.
Zudem versprach der Tag, monoton und anstrengend zu werden, und eigentlich gefiel Doni die Art der jungen Frau. Er beschloss, eine letzte Taktik anzuwenden, die einzige, für die er bekannt war: Zuhören. Geduldig, teilnahmsvoll, feinfühlig. Sich alles anzuhören, von Anfang bis Ende.
Bei Straftätern funktionierte das. Es gibt im Grunde keinen Verbrecher, der nicht verstanden werden will, und in jungen Jahren hatte Doni gedacht, dies sei wohl die Ursache dafür, dass die Bösen in den Comics stets lange Monologe hielten, in denen sie ihr Motiv und alles Übrige gestanden. Wir alle wollen verstanden werden, dachte Doni, denn wir alle sind mutterseelenallein, und wenn ich mich schon so fühle, warum dann nicht auch ein Dealer oder einer von der Camorra?
Diese Theorie krankte an einer gewissen Menschenliebe, und Doni sollte dies in den folgenden Jahren schnell klarwerden. Doch eigentlich hatte sie stets funktioniert.
Also breitete er die Arme aus und sagte: «Hören Sie. Normalerweise würde ich das Wachpersonal anweisen, Sie mit Fußtritten hinauszubefördern, denn wenn es etwas gibt, woran ich glaube, dann an die Notwendigkeit, ungestört für die Menschen zu arbeiten. Doch sei’s drum, es ist fast noch Mittagszeit.
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