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Im Namen Des Schweins

Titel: Im Namen Des Schweins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pablo Tusset
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im Esszimmer aus. Plötzlich kommt er auf den Gedanken, dass sich in diesem Fall auch die Geschichte mit dem Wasserhahn und dem Rohrbruch erklären ließe: Dahinter steckt Absicht. Während er darüber nachdenkt, sieht er einen wackeligen Schatten, der direkt vor seinen Füßen entlanghuscht. Er kam aus dem Bierkasten, der als Tischchen in der Mitte steht. Die schwarze Spinne ist so groß wie eine Kinderhand. P bleibt wie gelähmt stehen. Er spürt die panische Reaktion seiner Spinnenphobie. Die schwarze Spinne fängt an, quer über die Fliesen zu laufen, bis sie an den Sockel der Wand kommt. Dort bleibt sie stehen. Sie bewegt ihre Vorderbeinchen gleichermaßen brünstig wie bedächtig. P hat den Eindruck, dass sie ihn herausfordern will.
    Sein Herz schlägt heftig. Trotz der Kälte bekommt er einen Schweißausbruch. Er versucht, tief einzuatmen, um wieder Herr seiner selbst zu werden. Da hört er in seinem Rücken, am Ende des Flurs, ein leichtes und gedämpftes Geräusch wie das Schlurfen von Pantoffeln.
    Er dreht sich blitzartig um die eigene Achse, um gerade noch zwei menschliche Gestalten zu erkennen, die in aller Ruhe im Halbdunkel durch die Diele laufen, als würden sie von dem einen Raum in den gegenüberliegenden laufen wollen. Die Gesichter hat er nicht gesehen. Nur die in der Dunkelheit verschwommenen Umrisse von zweiten Gestalten: Der eine ist ein Mann, ein alter Mann in einem kurzärmeligen Hemd und mit Pantoffeln. Das reicht. Es kann sich nur um einen der Taubstummen aus dem Hostal handeln. P ruft in seine Richtung: »He.« Dann läuft er schnell zu dem Raum, in den die beiden offensichtlich gegangen sind. In der Dunkelheit stößt er die Doppeltür auf und haut auf den Lichtschalter. Es ist niemand da. Er geht zurück in die Mitte der Diele. Durch das Licht in dem Zimmer wird er indirekt beleuchtet. Im Halbdunkel bemerkt er schlagartig die Veränderung: Die Eingangstür der Wohnung befindet sich nicht mehr an derselben Stelle. Sie ist jetzt gegenüber, in der Wand zu seiner Rechten.
    Zwei Benachrichtigungen wurden auf Englisch dort angebracht. Die eine empfiehlt ihm, die Wertsachen im Safe des Hotels abzugeben; die andere, Unbekannten erst dann zu öffnen, wenn die Sicherheitskette vorgelegt wurde. Verblüfft dreht er sich erneut um die eigene Achse, um durch den Flur in den großen Raum zu schauen. Vermutlich sucht er nach einem Anhaltspunkt, um zu verstehen, wo er den Fehler in seiner Wahrnehmung lokalisieren kann, der ihm unterlaufen sein muss. Sein Herzschlag ist weiterhin stark beschleunigt. Er spürt, wie ihm flau in den Beinen wird. Von weitem scheint durch den Balkon Lärm hereinzudringen: das Rauschen des Verkehrs, Sirenen, der Eindruck eines Stimmengewirrs und allgemeiner Betriebsamkeit. Er weiß genau, dass er nicht träumt. Dafür sind die Eindrücke in allen Einzelheiten zu scharf, sind seine Beobachtungen zu wach, um sie mit denen im Schlaf zu verwechseln. Er spürt zunehmend, dass etwas mit seiner Wahrnehmung nicht stimmt. Er geht durch den Flur zurück in den großen Raum, vorbei an den anderen zwei offenen Zimmern, in denen es dunkel ist und in die er erst gar nicht hineinschauen möchte. Er läuft in die Küche, nimmt den Behälter mit dem Mineralwasser, der auf der Marmoroberfläche steht.
    Der Schraubverschluss des Deckels ist intakt. Jetzt hat die Schwäche auch seine Arme ergriffen. Mit Mühe stellt er den schweren Behälter auf den Kopf und beobachtet, wie das Wasser sehr dicht neben dem Flaschenhals in einem Rinnsal entweicht. Er stellt den Behälter wieder richtig hin. Dann begutachtet er die Stelle. Eine Einstichstelle, ein feines Löchlein, bei dem die Ränder nach innen gehen, so wie von einer subkutanen Spritze. Ihm geht ein Wort durch den Kopf: Stechapfel.
    Aber im selben Augenblick weiß er schon nicht mehr, ob dieses Loch wirklicher ist als die Spinne. Oder als die Tür: Jetzt ist er sich bereits gar nicht mehr sicher, ob sie wirklich immer links in der Diele war. Die Spinne ihrerseits sitzt noch in dem großen Raum, unten am Sockel und bewegt immer noch ihre Vorderbeinchen: eine Tänzerin aus dunklem Samt. P wird wieder kalt.
    Jetzt zittert er bereits am ganzen Körper. Der Brustkasten tut ihm weh. Er ist verkrampft. Von dem Kampf gegen die schneidende Kälte der Luft. Während er sich mit tauben Händen den Anorak wieder überzieht, fällt ihm auf, dass der Verkehrslärm nachgelassen hat. Dafür hört er jetzt ununterbrochen ein lautes Sirenengeheul. Und noch etwas

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