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Im Namen Des Schweins

Titel: Im Namen Des Schweins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pablo Tusset
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anderes: Schläge, zerbrechende Scheiben, ein Knallen … Er geht zur Balkontür und öffnet sie.
    Der Lärm ist unerhört, es ist tiefe Nacht. Ein bisschen weiter hinten, über den Dächern, steht die Kirche in Flammen. Die zwei riesigen Zwillingstürme aus Stahl und Glas haben sich in kolossale Fackeln verwandelt. Man muss den Hals schon ganz schön recken, um das Feuer zu sehen. Es brennt mehr in der Spitze, oberhalb des 60. oder 70. Stockwerks. Dort oben sind winzige Figuren zu erkennen, die sich ins Nichts stürzen. Papiere tanzen in den Flammen. Die großen Glasscheiben sind hagelkörnchenklein zersplittert. Ein menschlicher Körper zerschellt auf einer Bank im Gärtchen, die am Fuße des nördlichen Turms steht. Der Körper schlägt mit einem tauben Geräusch auf der Rückenlehne auf, das Rückgrat ist gebrochen und der Mensch bleibt reglos am Boden liegen …
    P geht zurück in die Wohnung. Er macht die Balkontür zu und sichert die Fensterläden. Der Lärm dringt augenblicklich nur noch von weitem, gedämpft herein. Die Spinne duckt sich noch immer an den Sockel. Mit einem Mal hat er das Gefühl, dass es in seiner Wohnung nach verbrannten Haaren riecht. Ein ekelerregender Gestank kommt aus der Küche. Aber woher will er eigentlich wissen, wie verbrannte Haare riechen? Die Kühlschranktür ist nicht mehr richtig zu. Das fällt ihm auf. Er schaut nach und ist überrascht über das, was im Kühlschrank liegt: Fleisch. Auf einem Styroportablett liegt fein säuberlich sortiertes Fleisch. In der Mitte liegt etwas Schwarzes. Beim Herausholen sieht es aus wie ein gevierteilter Hase. Dann erkennt er die schwarze Kugel in der Mitte wieder. Das Tablett fällt ihm auf den Boden. Die Kugel rollt wie ein Ball zwischen seine Füße. Ein Ball mit Ohren, zwei halbgeöffneten, matten Augen, einem Zünglein, das zwischen den Eckzähnen hervorlugt, einem breiten Schnurrbart und blutigen Eingeweiden. Hinten auf dem Tablett liegt ein Zettel, auf dem in Großuchstaben etwas steht, was durch die Feuchtigkeit verwischt ist: IM NAMEN DES SCHWEINS.
    ***
    P würde gern Wasser trinken. Aber er kann nicht. Er kann sich nur neben das altmodische Beistelltischchen im großen Raum setzen, um sich von der enormen Schwäche zu erholen, die ihn überkommt. Von dort aus hat er die Spinne im Blick. Er versucht, sich nicht vorzustellen, wie sie die Katze eingefangen und getötet haben mögen. Das Beste wäre, sich auf praktische Überlegungen zu konzentrieren. Er muss den Tierkadaver aus der Wohnung bringen. Er kann ihn unmöglich, so über den Küchenboden verstreut herumliegen lassen. Am besten wäre, alles in eine Tüte zu stecken und die dann in den Müllcontainer an der Straße zu schmeißen. Das Problem ist allerdings, dass draußen die Kirchtürme in lauter Einzelteilen zusammenkrachen. Das ist das eine. Das andere ist, dass dieser zerstückelte Katzenkadaver womöglich gar nicht wirklich existiert. Er müsste zuerst einmal herausfinden können, was noch real ist und was nicht.
    Irgendetwas in ihm dürfte das doch zweifellos wissen.
    Es gibt doch immer einen Teil in uns, der Bescheid weiß. Stimmt’s? Stimmt. Er hat großen Durst. Der Geschmack im Mund ist sauer. Er könnte sich den Gaumen mit Whisky befeuchten, falls in der Speisekammer echt noch eine Flasche stehen sollte. Er geht zurück in die Küche, läuft um das Katzenfleisch auf den Fliesen herum. Die Whiskyflasche existiert. Zumindest steht sie da, wo sie hingehört. Den ersten und zweiten großen Schluck spuckt er auf den Boden des großen Zimmers; den dritten, vierten und fünften schluckt er hinunter. Das mildert den Geruch nach verbrannten Haaren, der sich überall ausgebreitet hat. Der Ofen wird bald ausgehen. Er brauchte neues Brennmaterial. Das bedeutet, dass mehr als eine Stunde vergangen sein dürfte, seit er ihn das letzte Mal angeheizt hat. Womöglich ist auch auf sein Zeitgefühl kein Verlass mehr. Einer der Taubstummen aus dem Hostal geht Richtung Bad; der Dünnere von den beiden. Er grinst, als er P mitten im großen Zimmer stehen sieht. Genau in diesem Augenblick klingelt es an der Tür: brrrh, brrrh, brrrrrrrrrh …
    P achtet nicht auf den Warnhinweis, der auf Englisch an seiner Tür hängt. Er weiß, wer klingelt und macht einfach die Tür auf, ohne erst die Sicherheitskette vorzulegen. Er schaut nach unten auf den Boden. Sein Blick fällt auf den orangefarbenen Teppichboden und die labyrinthischen Flure des Hotels Pennsylvania. Auf dem Teppichboden stehen ein

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