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Im Namen Ihrer Majestät

Im Namen Ihrer Majestät

Titel: Im Namen Ihrer Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Rusbridgers traurigem Hinscheiden keinen Gedanken mehr gewidmet, wenn nicht der selten aufdringliche Journalist Tony Collins angerufen hätte. Dieser wollte, wie er immer sagte, »noch einige letzte ergänzende Fragen stellen«. Worum es bei diesen Fragen eigentlich ging, war bisher immer sehr unklar gewesen. Luigi hatte diese Prozedur schon dreimal mit wachsender Irritation mitgemacht.
    Diesmal kam Tony Collins jedoch schnell auf Rusbridger zu sprechen und fragte schon bei der Einleitung seines Monologs, ob Luigi der Fall bekannt sei. Dieser gab widerwillig zu, er habe in der Presse darüber etwas gesehen, lese aber nie Kriminaljournalismus. Das war eine Auskunft, die er schnell bereute, da Tony Collins nun umständlich alles wiedergab, was Luigi schon gelesen hatte.
    Tony Collins kam bald auf die für Luigis Geschmack halsbrecherische Theorie zu sprechen, es seien britische Behörden gewesen, die Rusbridger »geselbstmordet« hätten, nachdem dieser im Fall Milligan etwas herausgefunden habe. Luigi wurde ungeduldig und verhielt sich schließlich brüsk abweisend. Er wies darauf hin, bis jetzt hätten sich draußen in Addlestone noch keine Vertreter britischer Behörden in Gummikleidung gezeigt. Nach diesen Worten legte er auf.
    Anschließend fiel ihm auf, daß er keine Erklärung dafür kannte, weshalb die Russen Selbstmorde organisierten. Es hieß nur, man sei überzeugt, daß tatsächlich die Russen dahintersteckten. Was immer ihr Motiv sein mochte, so mußte es doch weit hergeholt sein. In der klassischen Spionagegeschichte gab es zwar eine Menge Beispiele für russische Theorien über sogenannte Destabilisierungs-Operationen, mit denen man Unsicherheit und Desinformation verbreiten wollte, um dem Gegner zu schaden. Falls es sich auch hier so verhielt, war es den Russen zumindest gelungen, einen Redakteur der Zeitschrift Computer Weekly zu beeindrucken. Doch das schien Luigi zu dumm und absurd. Es roch zu sehr nach Kaltem Krieg und den fünfziger Jahren. Die Russen mußten rationalere Motive haben. Luigi vermutete, daß es ganz einfach um eine Art Wettrüsten ging. Die Russen hatten in der Unterwassertechnologie einen Vorsprung, den sie schützen wollten. Sie fuhren noch immer mit ihren U-Booten in schwedischen Gewässern herum, und es war bisher vollkommen unmöglich gewesen, eins davon zu erwischen. Sie waren einfach zu gut.
    Doch auch diese Gedankenkette führte in eine Sackgasse. Natürlich war London der beste Ort im Westen, um die technische Forschung auf diesem Gebiet zu schädigen. Im Moment arbeiteten etwa tausend Personen in der Unterwassertechnologie.
    Aber wie sollten die Russen ihre Opfer aufspüren und entscheiden können, an welchen Punkten im System sie zuschlagen mußten, um mit dem geringsten Einsatz möglichst großen Schaden anzurichten? In dieser Frage kam Luigi nicht weiter. Woher sollten sie solche Einsichten bekommen, einen solchen strategischen Überblick?
    Er schlug sich entschlossen alle Überlegungen zu diesem düsteren Thema aus dem Kopf, da er Lady Carmen in zwanzig Minuten treffen sollte. Leise vor sich hin pfeifend schlenderte er Richtung Chelsea. Lady Carmen hatte leicht die Nase gerümpft, als er erzählte, wo das von ihm ausgewählte Restaurant liege. Ihrem Gesichtsausdruck hatte er entnommen, daß Chelsea und vor allem die Touristenfalle King’s Road reichlich vulgär sei. Darauf hatte er als netter junger Amerikaner eingewandt, Vulgarität liege ihm auch nicht so recht, aber die King’s Road gebe ihm das Gefühl, zu Hause zu sein.
    Das Restaurant, das er gefunden hatte, hieß Argyll. Die Speisekarte war überwiegend norditalienisch. Luigi hatte sogar einen Anflug von Heimweh empfunden, als er den Namen des lombardischen Gerichts Insalata di Petti di Polli las. Eigentlich sollte es mit Kapaunbrüsten zubereitet werden, die hier aber vermutlich durch Masthähnchen ersetzt wurden. Ebenso komisch verhielt es sich mit Insalata alla Russa. Trotz der angeblich russischen Herkunft handelte es sich auch hier um ein Gericht aus der Lombardei, das aber aus so vielen Zutaten bestand, daß es wie ein einziger Mischmasch aussah und deshalb im italienischen Sinne »russisch« wurde; Luigis Mutter hatte sein unaufgeräumtes Zimmer manchmal »ein veritables Rußland« genannt.
    Luigi war unsicher, wie viele Kenntnisse dieser Art ein Italo-Amerikaner aus Kalifornien vernünftigerweise haben konnte, machte sich deswegen aber nicht die geringsten Sorgen, da Lady Carmen bislang nicht viel an

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