Im Namen Ihrer Majestät
so: Als Rudolf Heß 1941 mit einer geklauten Maschine auf eigene Faust nach Schottland flog, um wegen eines Separatfriedens zu verhandeln, hatte er sich in den Kopf gesetzt, mit dem Herzog von Hamilton zu verhandeln, mit niemandem sonst, nicht mal mit Churchill. Schließlich mußte sich der Herzog einfinden, denn der wichtige Kriegsgefangene bestand darauf. Es muß äußerst peinlich gewesen sein. Jedenfalls konnte von Verhandlungen kaum die Rede sein. Rudolf Heß war verrückt.«
»Dann war es falsch, ihn als Kriegsverbrecher zu verurteilen«, sagte Carl und nickte mit tiefem gespieltem Ernst.
»Versuch nicht, den Juristen zu spielen. Du kannst nicht mal einen Mord von einem Mundraub unterscheiden. Natürlich war er verrückt, aber bei den Nürnberger Prozessen ging es nicht um Gerechtigkeit im gewöhnlichen Sinn, nur darum, für die Nachwelt bestimmte symbolische Exempel zu statuieren. Soll ich fortfahren, oder möchtest du mit mir über Juristerei sprechen?«
»Nein, ich kann einen Mord tatsächlich nicht von einem Mundraub unterscheiden. Was ist mit den anderen modernen Herzögen? Hat beispielsweise einer reich geheiratet?«
»Ja, stell dir vor!« sagte Tessie lachend und schlug sich demonstrativ auf die Stirn. »Ist es sicher, daß du mit denen hier verwandt bist? Du hast ein wenig außerhalb der Tradition geheiratet, jedenfalls die paar Mal, die du es versucht hast.«
»Nach angelsächsischer Rechtstradition nennt man so etwas einen Angriff auf die Persönlichkeit. Die Geschworenen werden aufgefordert, die letzte Äußerung nicht zur Kenntnis zu nehmen.«
»Richtig. Aber wo hast du das gelernt?«
»Von Perry Mason im Fernsehen. Wie war das jetzt mit dem, der reich geheiratet hat?«
»Das war Il Magnifico.«
Sie breitete die Hände zu einer Geste aus, mit der sie andeutete, daß doch schließlich jeder wußte, wer Il Magnifico war, oder es zumindest wissen sollte. Carl machte eine übertrieben untertänige Handbewegung, damit sie mehr über ihre Erkenntnisse erzählte.
Das tat sie auch, sichtlich erheitert, besonders als sie beim Erzählen einige Illustrationen zeigte.
Il Magnifico, der 10. Herzog von Hamilton, hatte seinen Kosenamen vermutlich einer großen Portion Ironie seiner Umgebung zu verdanken. Er war nämlich fest davon überzeugt, der rechtmäßige Erbe des schottischen Throns zu sein; was vermutlich den Tatsachen entsprach.
Um seinen Anspruch zu untermauern, ließ er ein neues Hamiltonsches Hauptschloß errichten, das den Namen Hamilton Palace erhielt. Aber, und an dieser Stelle begann Tessie zu kichern, diese Pläne ließen sich erst verwirklichen, nachdem er eine Erbin geheiratet hatte, die eine runde Milliarde wert war. Hamilton Palace außerhalb von Glasgow müsse jedoch sehr ansehnlich gewesen sein; Tessie betonte ausdrücklich, daß das Schloß ansehnlich gewesen sein müsse und es folglich nicht mehr war.
Im Hamilton Palace wurde eigens ein Thronsaal eingerichtet, den man nur mit gesenktem Haupt betreten durfte. Im Park ließ der 10. Herzog über einem Gedenkstein für den römischen Kaiser Hadrian für sich und andere nachfolgende Hamiltonsche Könige und Königinnen Schottlands ein Mausoleum errichten. Dieses, fuhr Tessie fort, sehe übrigens aus wie ein riesiger Phallus (sie zeigte Carl ein Bild, das ihren Vergleich unumstößlich bestätigte). Das Mausoleum sei alles, was von der ganzen Herrlichkeit geblieben sei.
Die nachfolgenden Herzöge fanden eine handfeste, aber nicht sehr edle Methode, diese Prachtbauten zu bezahlen. Unter dem Haus wurde Kohle gefunden, und man begann mit dem Abbau. Nach zwei Herzögen war der Untergrund derart ausgehöhlt, daß alles ins Erdinnere zu sinken drohte. Damit war das üppige Leben für die Herzöge vorbei.
Tessie war jedoch der Meinung, daß die Geschichtsschreibung ein wenig unklar sei. Der 10. Herzog sei also Il Magnifico gewesen. Der 13. Herzog war Offizier, Kriegsheld und noch einiges mehr. So wie der Sohn, der 14. Ebenso der jetzige.
Zwei Herzöge wurden aus der Geschichte ausgelassen, der 11. und der 12.
»Bei denen ging es mit dem Geld zu Ende«, stellte Tessie nachdenklich fest. »Ich möchte gern wissen, wie man soviel Kohle ausgibt. Dieser Il Magnifico hat unter anderem Rubens-Gemälde gesammelt. Er konnte offenbar aus dem vollen schöpfen. Was meinst du?«
»Wann war was?« fragte Carl, als interessierte ihn das Problem plötzlich.
»Um die Jahrhundertwende und in den darauffolgenden Jahrzehnten. Wein, Weib und
Weitere Kostenlose Bücher