Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
ihn umgebracht, und dann hat sie ihn fressen wollen.«
»Na, Henri würde aber einen zähen Eintopf abgeben.«
»Sie hat ihn roh essen wollen.«
»Hast du die Frau erkannt, cher ?«, fragte Florence. Sie ging die Liste der Frauen in Iberia durch, die stark genug wären, einen Mann zu töten. Ihr fiel niemand ein. Henri Bastion war im besten Mannesalter. Gerüchten zufolge soll er einen Strafgefangenen, der bei ihm auf der Plantage gearbeitet hatte, mit bloßen Händen erschlagen haben. Falls er nicht verletzt oder betrunken gewesen war, hätte eine Frau gegen ihn keine Chance gehabt.
Emanuel schüttelte den Kopf. »Hab sie noch nie gesehen.« Ernst sah er sie an. »Aber sie ist nicht mehr die, die sie mal war. Sie ist ein loup-garou .«
Sie nahm dem Jungen die Tasse aus den zitternden Händen. »Willst du heute Nacht noch nach Hause oder hier bleiben? Ich würde dich ja fahren, aber Benzinmarken sind teuer.«
»Ich geh nicht nach Hause. Nicht nachts durch den Wald, wenn sich ein Dämon rumtreibt. Hätte auf dem Weg hierher schon umgebracht werden können.«
Tatsächlich zeichneten sich auf Gesicht, Hals und Händen des Jungen Kratzer ab. Er hatte sich durch Dornensträucher und Büsche geschlagen, um ja keine Zeit zu verlieren, damit der Werwolf seine Fährte nicht wittern konnte. »Dann mach dir auf dem Boden ein Lager. Bei Tagesanbruch musst du fort. Wäre nicht gut, wenn die Leute mitkriegen, dass du bei mir übernachtet hast.«
Raymond ließ der Frau, die wie gebannt den Mond anstarrte, keine Möglichkeit zur Flucht. Mit einem Satz war er bei ihr und schlug ihr die Beine weg, sie rang nach Luft und sackte zu Boden. Als er sie berührte, wusste er sofort, dass sie ernsthaft krank war. Ihre Haut brannte. Sie wand sich, strampelte wie ein wildes Tier, rollte mit den Augen und knirschte mit den Zähnen. Dann warf sie sich auf den Bauch und versuchte wegzukriechen, krallte sich im Boden fest und entblößte ihre Nacktheit ohne Scham.
»Ruhig«, sagte er und umfasste ihre zappelnde Taille. »Ich versuche Ihnen zu helfen.«
Knurrend schnappte sie nach seiner Hand. Ihre Stimme klang rau, als wäre ihr Hals wund. Ihre klauenartigen Finger bohrten sich in den feuchten Schlamm.
Raymond verbog ihr den Arm und rollte sie auf den Rücken. Sie wehrte sich mit aller Macht, doch bis auf ihren rauen Atem gab sie keinen Ton von sich. Rittlings setzte er sich auf sie, versuchte sie festzuhalten, ohne sie zu verletzen, wollte sie an den Handgelenken packen und fuhr ihr dabei mit der Hand über die feste Brust. Sie wand sich unter ihm, sträubte sich mit unbegreiflicher Kraft. Schließlich konnte er ihr die Handschellen anlegen und sprang auf.
Er hievte sie auf die Beine. Speichelfäden troffen ihr aus dem Mund und vermischten sich mit dem bereits gerinnenden Blut an ihrem Kinn. Sie wollte sich losreißen, aber er hielt sie an den Handschellen fest.
Ihr Kleid war zerfetzt, ihre Füße waren nackt. Morast und Schnitte bedeckten die Beine, eingetrocknetes Blut zog sich über ihr Gesicht und die Fetzen ihres Kleides. Sie keuchte vor Erschöpfung und hielt sich von ihm so weit fern, wie die Handschellen es zuließen. Obwohl sie völlig verstört und aufgebracht wirkte, warf sie auch jetzt noch einen langen Blick zum Mond, dessen silbriges Licht die Baumwipfel berührte.
»Sie sind verhaftet. Kommen Sie.« Er zog sie zum Wagen, was weitere Gegenwehr zur Folge hatte. Aber sie wurde schwächer. Ihr Körper besaß kein Gramm Fett zu viel, und sie glühte vor Fieber, was ihn mit großer Unruhe erfüllte.
Er drückte sie auf den Beifahrersitz und nahm sich vor ihren Zähnen in Acht. Gewöhnlich transportierte er Gefangene auf dem Rücksitz, aber die Vorstellung, sie könnte ihm ihre Zähne in den Nacken schlagen, während er am Steuer saß, gefiel ihm ganz und gar nicht.
Schließlich, als ihr Widerstand nachließ, lockerte er seinen Griff. »Wie heißen Sie?«
Sie sah an ihm vorbei zum Mond, der niedrig am samtenen Himmel stand, und lächelte. Ihr Mund ging auf, als wollte sie etwas sagen, doch dann ließ sie sich nur gegen den Sitz fallen. Fieberschauer ließen sie am ganzen Leib zittern.
Er überprüfte ihren Puls, der schwach und unregelmäßig war. Im Augenblick hatten die Kräfte sie verlassen.
Er ließ sie im Wagen und untersuchte den Toten. Abgesehen von den Bauchverletzungen war Henris Kopf fast vollständig vom Rumpf getrennt. Die Wunde war so zerfetzt, dass man noch nicht einmal ahnen konnte, wodurch sie
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