Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
einer Biegung stieß er auf sie.
Lange stand er nur da und starrte auf die Frau – und auf das, was zu ihren Füßen lag. Auf das Blut, das im Mondlicht an ihren Händen und in ihrem Gesicht schimmerte und auf der unbefestigten Straße in sich schlängelnden Rinnsalen dem Weg des Regens folgte. Auf die langen, in sich verschlungenen Darmstränge, die aus dem aufgeschlitzten Unterleib des Toten quollen.
Sein Herz hämmerte. Er hatte sie oft erlebt, die ungezählten Schrecken, hatte sie selbst heraufbeschworen, aber nichts davon hatte ihn jemals so frösteln lassen wie das hier. Langsam ging er auf sie zu. Halb kauernd, argwöhnisch drehte sie sich zu ihm um. Sie besaß die Anmut eines Tiers, eines wilden Wesens, das beim Fressen gestört wurde. Ihr Kleid war zerrissen, das Weiß ihrer Oberschenkel und ihres Hinterns leuchtete auf, als sie hinter der Leiche zu ihm herumfuhr. Was ihn jedoch festhielt, war ihr Blick. Ihre Augen, dunkel wie Morasttümpel, brannten.
»Ruhig«, sagte er. »Ich bin Deputy Thibodeaux. Zwingen Sie mich nicht, Ihnen wehzutun.« Er zielte auf ihr Herz. Sie war sehr mager, viel zu unterernährt, um unter normalen Umständen eine Gefahr darzustellen. Er kannte fast jeden in der Gemeinde, aber sie war ihm fremd. »Ich möchte Ihnen nicht wehtun«, wiederholte er. Zu spät bemerkte er, dass er damit den Fluch ausgesprochen hatte, der auf ihm lastete. Nie wollte er jemandem Schaden zufügen, dabei konnte er es so gut.
Die Frau lachte auf, ein freudiger Laut, in dem sich ein anderer, undefinierbarer mischte. Als er sich ihr näherte, kauerte sie sich über die Leiche und knurrte.
»Gehen Sie von der Leiche weg.« Er trat näher, entschlossen, seine Pflicht zu tun. Ihre Augen glitzerten im Licht des Mondes, als stünde sie unter seinem Bann. »Treten Sie zurück.« Er war jetzt so nah, um erkennen zu können, dass das tote Ding zu ihren Füßen Henry Bastion war, der reichste Bewohner der Gemeinde.
Die Frau sprang vor. Er zielte auf ihr Herz. Er hatte viele getötet, aber noch nie eine Frau. Sie würde die erste sein.
»Zurück!«, sagte er. »Sofort!«
Langsam richtete sie sich auf. Sie ließ die Arme sinken, richtete das Kinn zum Mond, ihr langer, schlanker Hals kam zum Vorschein, der krampfhaft zuckte, bis sich aus ihrer Kehle ein Heulen Bahn brach.
Die Fliegentür ihres kleinen Hauses schlug im Wind. Florence Delacroix hüllte sich in ihren Morgenmantel und rückte ans Feuer. Die züngelnden Flammen warfen tanzende Schatten auf ihr Gesicht, verbargen und enthüllten ihr klassisches Profil, die vollen Lippen und großen grünen Augen. Eine halbmondförmige Narbe folgte der Rundung ihrer Wange. Sie wandte sich an den Jungen, der sich neben ihr in eine Decke gewickelt hatte.
»Du hast die Leiche gesehen?«
Emanuel Agee führte die Tasse mit der dampfenden Schokolade an die Lippen und nickte. Als die Fliegentür erneut klapperte, ging sein Blick dorthin.
»Ist nur der Wind, Junge. Nur der Wind.« Er war ein hübscher Bengel, ging ihr durch den Kopf, schwarze Haare, dunkle Augen, die von Intelligenz zeugten, genau wie bei seinem Vater. »Erzähl mir, was du gesehen hast.«
»Überall auf der Straße waren seine Eingeweide. Und sie, sie hat über ihm gestanden und gelacht, und sie hat mich angestarrt.« Er blinzelte. »Glauben Sie, sie hat mich verflucht?«
»Nein, cher .« Florence musterte ihn. »Es liegt kein Fluch auf dir.« Sie fuhr ihm durchs Haar. »Henri Bastion hat sich auf einen Teufel eingelassen, dem er nicht gewachsen war.« Florence erhob sich und ging zur Ankleide, kramte in einer Geldbörse und kam mit einer Münze zurück. Sie reichte sie dem Jungen, strich ihm erneut über den Kopf, spürte, wie das feine Haar durch ihre Finger glitt. »Es war richtig, zu mir zu kommen und es mir zu erzählen.«
»Daddy hat gesagt, ich soll’s dem Sheriff sagen und dann zu Ihnen kommen. Er sagt, Sie passen schon auf mich auf.«
»Dein Daddy ist ein kluger Mann. Bei Florence bist du sicher.«
»Es war ein loup-garou «, sagte der Junge so atemlos, dass er kaum die Worte herausbrachte. »Er hat sich die Frau geholt und ist in sie geschlüpft.«
Florence ließ sich wieder vor dem Feuer nieder. »Henri Bastion hat viele Feinde gehabt, und einer davon ist so wütend geworden, dass er ihn umgebracht hat. Das ist alles.«
»Sie hat überall Haare gehabt.«
Florence betrachtete sein Gesicht, seine Augen, in denen die Angst zu sehen war. »Wirklich? Überall Haare?«
Er nickte. »Sie hat
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