Im Netz der Meister 2
die Haare und sagte: »Natürlich bei dir, falls ein Anruf kommt.« Er wollte um acht da sein.
Simone verbrachte den restlichen Tag so, wie sie auch die letzten Tage verbracht hatte: wartend. Abends um halb acht hatte Luka sich noch immer nicht gemeldet.
Simone polierte zwei Weingläser und stellte sie auf den Tisch, zündete Kerzen an, legte eine CD von Leonard Cohen ein. Sie suchte die Passage in dem Roman »Ein bisschen Sonne im kalten Wasser«, über die sie mit Maurice nachher reden wollte, und legte ein Lesezeichen hinein. Sie sah auf die Uhr.
Er wird schon anrufen. Bis jetzt hat er mich jeden Tag angerufen. Was sind das eigentlich für Konferenzen? In New York. Vielleicht ist er gar nicht in New York. Er ruft immer mit unterdrückter Nummer an, theoretisch könnte er in Kroatien sein. Oder zu Hause. Warum frage ich mich das jetzt erst? Warum frage ich ihn nicht? Nachher. Wenn er nachher anruft, sage ich, ich hätte Besuch und würde später zurückrufen. Der ist doch nicht blöd. Dann sagt er, später wäre er unterwegs. Warum ruft er auch nachts an? Zu den komischsten Zeiten? Will er mich ans Haus fesseln? Warum ruft er nicht auf dem Handy an? Still jetzt. Ich mache mich schon wieder verrückt. So soll eine Beziehung nicht sein. Eine Beziehung soll mich glücklich machen und nicht nervös. Ich bin glücklich. Ich darf das aber nicht immer wieder vergessen.
Es klingelte. Maurice war pünktlich. Simone freute sich, ihn zu sehen. Zur Begrüßung stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf den Mund.
»Nanana. Lass das mal sein. Ich küsse keine verlobten Damen.«
Er hatte zwei Flaschen Beerenauslese mitgebracht. Simone liebte diese Sorte. Maurice entkorkte eine Flasche, die andere legte er ins Regal. Sie stießen an und redeten ein bisschen.
Sein Handy klingelte. Er musste ins Restaurant. Sofort. Der Koch hatte sich die Hand verbrüht und war im Krankenhaus.
»Ich melde mich nachher«, sagte Maurice beim Hinausgehen.
Es war alles so schnell gegangen, dass Simone einen Moment ratlos dasaß. Sie rauchte eine und trank ihr Glas leer. Sie schaltete den Fernseher an, zappte durch alle Programme, machte ihn wieder aus.
Sie nahm das Buch vom Tisch und versuchte zu lesen. Halb neun. Luka würde bestimmt gleich anrufen. In New York war es jetzt Nachmittag. Schade, dass Maurice wegmusste.
Simone trank sein Glas leer. Dann hatte sie eine Idee. Sie loggte sich ein. Sie wollte sich löschen. In allen Foren. Sofort.
Sie wollte sowieso aussteigen, umsteigen, von der Virtualität zurück in die Realität. Diesmal für immer. Diesmal würde sie es schaffen.
Sie hatte lange gesucht, jahrelang, nun war sie angekommen.
Zuerst ging sie ins »Harte-Liebe-Forum«. Sie sandte ihre Mailadresse an alle Namen, die in ihrer Freundesliste standen, und schrieb dazu: »Wegen Heirat geschlossen. Nur noch per Mail zu erreichen.« Dann löschte sie ihr Profil.
Sie fühlte sich großartig und prostete sich selbst mit einem frischen Glas Wein zu. Sie loggte sich im nächsten Forum ein und löschte sich auch dort. Dann ging sie dahin, wo sie Luka kennen gelernt hatte. Hier hatte sie kaum Kontakte, jedenfalls konnte sie keinem der Namen, die in ihrer Liste standen, jemanden zuordnen.
Lukas Name blinkte.
Simone begriff zuerst nicht, was das bedeutete. Dann wurden ihre Knie weich. In ihr zog sich etwas zusammen und etwas wühlte in ihren Eingeweiden. Sie loggte sich schnell aus. Hoffentlich hatte er nicht gesehen, dass sie online war. Sie trank das Glas leer und rauchte eine. Ihr war eiskalt, trotzdem schwitzte sie. Sie war benebelt und glasklar zugleich.
Blitzschnell richtete sie sich einen neuen Account ein. Ihre Augen flogen durch das Zimmer, auf der Suche nach einem Nick. Auf einem Buchrücken war ein Veilchenstrauß abgebildet. Sie loggte sich ein unter »Veilchen-Dorne«, der Name war noch frei. Sie gab in die Bildersuche einer Suchmaschine ein: »Rothaarige«. Zwölf Seiten Ergebnisse. Auf Seite elf fand Simone das Foto einer Rothaarigen mit rückenlanger Lockenmähne. Sie kopierte es und lud es als Profilbild der Veilchen-Dorne hoch. Dann schrieb sie als Text hinein: »Nur wenn man Veilchen isst, weiß man, wie lila schmeckt.«
Mit wenigen Klicks war sie auf Lukas Seite. Sein Name blinkte noch immer. Er war online.
Jetzt musste sie warten. Wenn er sah, wer sein Profil angeklickt hatte, würde er ihr einen Gegenbesuch abstatten.
Und dann schauen wir mal.
Sie zitterte, als sie sich die nächste Zigarette
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