Im Netz der Meister 2
unterbrochen.
Er rief kurze Zeit später an, als sie auf dem Weg ins »Chez Maurice« war, und er plauderte genauso locker wie gestern. Den Anruf eben erwähnte er mit keinem Wort. Als Simone unvermittelt fragte: »Warum hast du vorhin aufgelegt?«, schien er tatsächlich nicht zu wissen, was sie meinte. Sie hatte sich sicher verwählt. Er war es gar nicht gewesen. Sie hatte Halluzinationen, ja, bestimmt. Luka brachte sie schnell zum Lachen, tat so, als seien sie seit langem ein vertrautes Paar, erinnerte sie immer wieder an das Heiratsversprechen, schwor ihr heiße Liebe und versprach ihr wilden Sex, wenn er zurück sei.
Wenn Simone mit ihm sprach, war alles wunderbar. Zwischen den Anrufen zweifelte sie, misstraute ihm, heulte oft und fühlte sich scheußlich. Dann schalt sie sich selbst wegen ihrer Dummheit und ihrer Unfähigkeit, das Glück zu erkennen und es einfach zu genießen.
Die Abende im »Chez Maurice« vergingen schnell. Simone fühlte sich, als wäre sie schon ewig Teil des Teams, und sie war traurig, als Maurice nach ihrem letzten Arbeitstag die Restauranttür abschloss und sich mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern zu Simone an Tisch eins setzte. Er hatte Oliven, Brot und Käse angerichtet. Sie saßen lange dort, kamen von einem Thema aufs andere, lachten und redeten über alles Mögliche. Maurice rechnete ihre Stunden sehr großzügig ab und Simone freute sich darüber.
»Vielleicht kannst du ein oder zwei Mal in der Woche aushelfen? Hast du Lust?«, fragte Maurice.
»Ich weiß nicht, es hat zwar Spaß gemacht ...«
Er fiel ihr ins Wort: »Legal und angemeldet, Simone. Schwarz geht das auf Dauer natürlich nicht. Als Arbeitslose darfst du einen Teil behalten, und vom Trinkgeld weiß ja keiner was.«
»Das ist es nicht, Maurice.« Simone spürte, dass der Wein sie gesprächig machte, und die Worte kamen nach seiner Frage: »Was dann?«, ohne dass sie nachgedacht hatte. »Weil ... weil ... ja ... also ...« Sie räusperte sich und sagte dann mit fester Stimme: »Ich werde bald wieder heiraten.«
Maurice starrte sie an. Seine Stimme klang belegt. »Wen?«
Sie sagte: »Den Kroaten.«
Er schwieg eine Weile. Simone konzentrierte sich darauf, ihr Weinglas anzustarren. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Maurice sich immer wieder über den Bart strich und den Kopf schüttelte.
»Diesen Kroaten, auf dessen SMS du immer wartest? Ich denke, du bist noch gar nicht geschieden? Nimm’s mir nicht übel, Simone, aber wir kennen uns inzwischen so gut, wir haben über so vieles geredet. Über den Kroaten haben wir nur mal nebenbei gesprochen. Und jetzt sagst du, du willst ihn heiraten? Hast du ne Meise?«
Maurice schüttelte wieder den Kopf und stand auf. Er hantierte hinter der Bar und kam mit zwei gut gefüllten Cognacschwenkern zurück. »Darauf muss ich erst mal einen trinken.«
Sie hielt das Glas in beiden Händen und schwenkte es bedächtig, bevor sie es einem Zug austrank.
»Bestimmt habe ich ne Meise, Maurice. Das ist noch zu zahm ausgedrückt. Ich ticke nicht ganz richtig. Ich bin komplett verrückt geworden.«
Und dann begann Simone plötzlich zu reden, als hätte sich ein Ventil geöffnet. Sie erzählte Maurice alles, sie ließ nichts aus. Sie begann mit den SM-Affären, die sie heimlich gehabt hatte, bevor Gerald sie gefangen hielt, sie erzählte von der schwarzen Wohnung, von den furchtbaren Qualen, die sie dort gelitten hatte. Von ihrem Neuanfang, der so kläglich gescheitert war, von dem Versuch in Hamburg, mit einem anderen Paar zu spielen, von der Idee der offenen Ehe, von Anna, Leo und Herrn Scheißkerl, von den vielen erfolglosen Dates beim Stammtisch, von dem Spiel mit Julian, von ihrer zwanghaften Suche nach sich selbst und der Erfüllung dieser beschissenen Sehnsucht. Simone ließ nichts aus, redete immer weiter und weiter, weinte zwischendurch, beruhigte sich wieder, erzählte, wie entsetzlich sie sich den Kindern gegenüber fühlte, weil sie gegangen war, weil ihre Ehe kaputt und die Familie zerbrochen war wegen »der ganzen Scheiße«, von ungezählten schlaflosen Nächten deswegen und von schrecklichen Albträumen und Ängsten, die ihr immer und immer wieder die Kehle zuschnürten.
Maurice saß ihr gegenüber und hörte zu. Er kommentierte nichts. Manchmal fragte er nach, ließ sich etwas noch einmal erklären. Simone schonte sich nicht. Sie gab zu, dass sie selbst Schuld an der Pleite ihres Buchladens war, wusste, dass sie den Verlockungen des Internets wieder verfallen
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