Im Netz der Meister (German Edition)
Brieffreundschaft. Sie telefonierten regelmäßig, spielten erotische Situationen im Chat. Sie konnte ihn alles fragen, was sie nicht wusste. Zum Beispiel: »Was ist ein Andreaskreuz?«
Lars schrieb: »Ein Andreaskreuz sieht aus wie ein großes X. Es gibt welche aus Holz oder aus Metall. An den Balkenenden gibt es Haken oder Ösen, an denen man Seile, Handschellen oder Ketten befestigen kann. Du würdest es sehr genießen, daran nackt und bewegungslos fixiert zu sein.«
Simone fand Fotos im Internet, die Frauen an solchen Kreuzen zeigten. Die Gefühle, die solche Bilder in ihr auslösten, konnte Simone nicht beschreiben.
Sie stieß immer wieder auf den Begriff »Safewort«.
Lars erklärte: »Das ist eine Art Signalwort. Man vereinbart es vor einer Session. Wenn du eine Session hast und dein Partner geht so weit, dass du es nicht mehr aushältst, dann rufst du dieses Wort, und er muss sofort aufhören.«
»Tut er das dann auch?«
»Ja. Das ist ein Gesetz, an das sich jeder hält: Es ist die unbedingte Verpflichtung zum sofortigen Aufhören.«
Eigentlich eine sehr schöne Vorstellung, dachte Simone, wenn man sich bedingungslos darauf verlassen kann, dass Regeln und Absprachen eingehalten werden. Wo gibt’s das im Leben schon?
Lars lehrte sie ein neues erotisches Vokabular.
»Deine Lust muss Worte finden, Angel«, sagt er.
Simone stimmte ihm zu und trainierte Dirtytalk. Sie lernte, Worte auszusprechen und in ihren E-Mails zu schreiben, an die sie noch vor Monaten nicht einmal in ihren schärfsten Träumen gedacht hatte.
Eines Abends sah sie sich bei Love.Letters wieder einmal die Fotogalerie der User an.
Ein dunkelhaariger Mann mit schulterlangen Locken faszinierte sie sofort. Er nannte sich Strike und sah fantastisch aus. Simone schrieb ihn an, und er antwortete sofort. Es entwickelte sich ein Flirt.
Noch nie hatte sie solch erotische Mailwechsel geführt.
Strike deutete mehr an, als er konkret formulierte, ließ Sätze wie »Ich werde dich in der Öffentlichkeit nicht vorführen. Noch nicht ...« mit drei Pünktchen enden und verursachte damit bei Simone heftige Adrenalinstöße.
Strike hieß in Wirklichkeit Boris, war 43 Jahre alt und hatte früher als Model für einen internationalen Herrendesigner gearbeitet. Er wohnte in München und arbeitete nun als Manager in der Versicherungsbranche. Als er Simone weitere Fotos von sich schickte, fiel sie fast um. Das war ein Traumtyp. Den wollte sie haben. Er war attraktiv, gebildet und intelligent.
Und er war ein dominanter Mann mit Erfahrung.
Er war ein echter Dom.
Das spürte sie.
Das wusste sie, und das schrieb er auch sehr deutlich in seinem Profil.
Sie telefonierten oft. Er rief sie auf dem Handy an, wenn sie auf dem Weg in die Buchhandlung war. Simone achtete sorgsam darauf, dass sie die Anruflisten immer sofort löschte. Gerald benutzte ihr Handy zwar nie, aber man konnte ja nicht wissen. Boris und Simone lachten viel zusammen, redeten über Alltäglichkeiten, über Mode und über ein mögliches Treffen. Kein Telefonsex, kaum Anzügliches. Aber in seinen E-Mails führte Boris die Unterhaltung immer wieder auf das Thema SM, und Simone ließ sich immer mehr faszinieren.
Auch Boris erzählte sie, dass sie als Sklavin bereits eine reale Erfahrung gemacht habe. Sie lernte erst später, dass eine solche Lüge ihr selbst am meisten schadete.
Sie lieh sich von einer Freundin eine Digitalkamera. Unter irgendeinem Vorwand bat sie Gerald, sie in ihrem neuen grauen Kostüm zu fotografieren. Sie trug die schwarzen Lederstiefel mit den hohen Absätzen zum taillierten Blazer und kurzen Rock und posierte am Gartenzaun.
Gerald hatte keine Ahnung und machte mehrere schöne Fotos, die Simone in ihrem Rechner speicherte.
Sie brauchte ein Foto für Boris. Er hatte es verlangt.
»Kein Blindflug, Simone! Ich will dich ansehen und nicht mit einem Phantom kommunizieren«, hatte er gesagt.
Sie hatte Angst, ihm ein Bild zu schicken. Er war ein sehr attraktiver Mann, er konnte sicher alle Frauen haben. Simone war vierzig. Was, wenn sie ihm nicht gefiel?
Er antwortete sofort. »Was für ein geiles Modell du doch bist! Du siehst fantastisch aus. Ich will dich, Simone. Und es wird mir ein Vergnügen sein!«
Sie war stolz. Wer weiß, wie oft ihr so was noch passieren würde. Irgendwann würde man ihr das Alter ansehen.
Boris wollte sie zu seiner Sklavin machen. Er würde sie schlagen, mit ihr spielen, mit ihr schlafen. Simone schaute in den Spiegel. Sie sah besser
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