Im Netz der Meister (German Edition)
Mann, der mich nicht real kennt, von München nach Berlin fliegt, um mich zu sehen. Das ist ein Erfolg. Das müsste reichen.
Genau. Ich sage nein. Ich mache es nicht.
Ich will es ja auch gar nicht wirklich, und wenn man es nicht wirklich will, dann hat keiner was davon. Er nicht und ich auch nicht.
Wir werden essen gehen, uns die Rechnung teilen und in diesem Penthouse seines Freundes übernachten. Ich schlafe freiwillig auf der Couch. Vielleicht betrinken wir uns gemeinsam.
Und morgen fahre ich zu Britta. Kein schlechtes Gewissen, wenn ich nach Hause komme. Keine Angst vor Aids. Und keine Spiele.
Ja, das ist das Beste.
Noch fünf Minuten. Ich stehe schon mal auf und nehme meine Reisetasche aus dem Netz, ziehe den leichten schwarzen Leinenmantel über. Die Männer im Großraumabteil schauen mich an. Ich genieße es, so groß und schlank zu sein. Ich weiß, dass ich gut aussehe.
Ich bin auf dem Weg zu einem Treffen mit einem Mann, den ich nicht kenne und dem ich eine Absage geben werde. Eine Absage, jawohl.
Ich habe die Macht.
Den Bahnhof Zoo haben sie umgebaut.
Ich war vor Jahren schon mal hier, damals sah alles sehr verdreckt aus. An Christiane F. erinnert kaum mehr etwas. Viele Leute, viel Security. Das Stück zum Europa-Center gehe ich zu Fuß.
Ich bestelle mir einen Prosecco und ein Stück Erdbeertorte. Irgendwas muss ich essen, sonst falle ich um.
Von hier aus kann ich den Platz an der Gedächtniskirche beobachten. Wenn Boris vom Bahnhof kommt, müsste ich ihn sehen können.
Ich esse nur die frischen Erdbeeren, den Tortenboden kriege ich nicht runter. Auch nicht mit dem zweiten Prosecco. Jetzt muss ich aber aufhören, sonst bin ich gleich blau. Ich nehme einen doppelten Espresso.
SMS von Boris: »Geh zum Tabakladen rechts neben der großen Treppe am Bahnhof. Stell dich mit dem Gesicht zum Schaufenster und schau die Pfeifen an. Warte auf weitere Anweisungen.«
Ich lache laut auf, die Leute im Café schauen mich verwundert an.
Das Spiel beginnt.
Ich werde es nicht tun. Ich werde nicht mitspielen. Ich fahre morgen zu Britta.
Zahlen, gehen, der Tabakladen ist gleich vorne. Irgendwo muss Boris sein. Er beobachtet mich, ich weiß es, ich spür das. Er will mich abchecken, will gucken, wie ich aussehe. Kein Problem.
Hinter mir eilen Leute vorbei. Niemand sieht aus wie Boris. Ich schaue auf mein Handy. Keine neue SMS.
Irgendwo muss der Kerl stecken. So unübersichtlich ist es hier doch nicht. SMS: »Das Gesicht zur Scheibe, habe ich gesagt.«
Verflixt, wo ist er? Ich sehe mich wieder um. Kein Boris. Auch niemand, der so ähnlich aussieht. Ich schaue in die Scheibe. Okay, bis jetzt mache ich mit, aber gleich ist Schluss.
Ich schreie auf, als ich die Hand spüre, die sich blitzschnell unter meinen Mantel, unter meinen Rock schiebt. Eine zweite Hand liegt auf meiner Schulter.
»Ganz ruhig, Lady«, sagt jemand. »Ganz langsam umdrehen, ganz langsam.« Die Hand auf meinem Hintern.
Ich drehe mich langsam um. Neugierig, gespannt, ganz ruhig.
Vor mir steht der schönste Mann, den ich je gesehen habe.
Er gibt mir einen Kuss auf den Mund. Ich rieche sein Parfum.
Meine Gedanken fliegen, registrieren alles in Sekundenschnelle.
Viel besser als auf dem Foto. Groß. Schlank. Breite Schultern. Braun gebrannt. Pechschwarze, schulterlange Locken, mit Gel aus dem Gesicht gekämmt. Schneeweiße Zähne. Dreitagebart. Schwarzer Anzug, schwarzes Netz-Shirt. Und stahlblaue Augen. Lange Wimpern.
Der Mann ist unglaublich. Ein Traum, ein Model. Ich müsste völlig bescheuert sein, wenn ich jetzt »nein« sagen würde, so eine Schönheit wird nie wieder in meinem Bett landen. Meine Stimme ist heiser.
Mein Entschluss steht fest, ich habe keine Wahl.
Du hakst mich unter und nimmst mir meinen Koffer ab.
»Komm, wir rauchen erst mal eine zusammen, okay?«
»Ja.«
Wir stehen vor dem Bahnhof Zoo in Berlin und rauchen eine. Du trittst einen Schritt zurück und musterst mich frech von Kopf bis Fuß.
»Du siehst klasse aus.«
»Du auch.« Du lachst. Umwerfend.
Wir plaudern. Über deinen Flug, über meine Fahrt.
Wir gucken uns an, gucken weg, kichern ein wenig.
»Du weißt ja, dass sich innerhalb der ersten Sekunden einer Begegnung entscheidet, ob zwei Menschen sich mögen oder nicht. Wir stehen hier seit fünf Minuten.«
Ich lache zu laut, aber du hast ja so recht.
»Mein Koffer ist nicht da. Die Lufthansa schickt ihn später nach. So ein Mist. Gut, dass ich die Schlüssel für das Appartement im Sakko hatte«,
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