Im Netz der Meister (German Edition)
mit dominanten Männern treibt, eine, die devote Männer schlägt, eine, die ordinäre Klamotten trägt und auf abartige Partys geht und dort perverse Spiele spielt.
Ja.
Sie rief Adele Fuchsberg an und bat sie um einen weiteren freien Nachmittag. Es gehe ihr nicht gut, erklärte sie. Adele war zwar nicht begeistert, kam aber und vertrat sie.
»Wenn Gerald anruft, sagen Sie ihm bitte, dass ich beim Arzt bin«, sagte Simone.
Dann marschierte sie los. Sie musste in Ruhe denken. Sie brauchte Klarheit, sie musste das Gedankenknäuel entwirren. Sie ging und ging und registrierte gar nicht, wohin, sie merkte nicht, dass sie hinter den Landeskliniken am Bach entlang wanderte, die Josefshöhe überquerte, an der kleinen Graurheindorfer Burg vorbeilief bis hinunter zum Rhein. Sie setzte sich ans Ufer und starrte auf das Wasser. Seit sie denken konnte, hatte der Rhein eine beruhigende Wirkung auf sie gehabt. Er war einfach immer da. Sie konnte jahrelang nicht hier gewesen sein, so wie jetzt, und dennoch war der Fluss da, wo er hingehörte. Sie konnte sich darauf verlassen.
Heraklit kam ihr in den Sinn: »Alles fließt« murmelte sie. »Alles ist in Bewegung und nichts währt ewig. Deshalb können wir nie zweimal in denselben Fluss steigen.«
Nichts währt ewig. Alles geht zu Ende. War in ihrem Leben etwas zu Ende gegangen? War ihre Ehe am Ende? Wollte sie dieses Leben nicht mehr? Konnte sie es so überhaupt noch leben?
Ja.
Doch.
Sicher.
Sie wollte bei Gerald bleiben. Jaja. Sie liebte doch die Mädchen, sie liebte ihren Mann, sie musste um ihren Alltag kämpfen, um die Normalität, für das Leben, um das viele Menschen sie sicherlich beneideten. Wer hatte das schon: eine finanzielle Absicherung, ein schönes Haus, ein eigenes Geschäft, gesunde, clevere, liebenswerte Kinder, einen geduldigen Mann, der sie liebte.
Liebte er sie?
Was wäre, wenn Gerald doch eines Tages herausfinden würde, dass sie ein Doppelleben führte? Dass alles, was er für Realität hielt, eine Lüge war? Würde er sie verlassen?
Was hielt Gerald für Realität? Was wusste sie noch über ihn? Wusste sie noch etwas über ihn? Was war eine Lüge, ihr bürgerlicher Alltag oder ihre Seitensprünge? Beides? Oder beides nicht? Bei wem würden die Kinder leben, wenn sie sich trennten? Simone erschrak über diese lauten, konkreten Gedanken.
Sie weinte.
Sie ging am Rhein entlang, flussaufwärts in Richtung Rheinaue, ihre Schritte wurden schneller, immer schneller, sie lief, rannte fast, als flüchtete sie vor etwas oder jemandem, war außer Atem, vom Rennen und vom Weinen und von diesem Leben, das sie in einen Strudel hineingezogen hatte, aus dem sie nicht mehr herauskam.
Es war gegen sieben Uhr abends, als sie in der Siedlung ankam. Sie war den ganzen Weg gelaufen, nicht bemerkend, dass sie den Weg nach Hause eingeschlagen hatte.
Sie stutzte, als sie Geralds Auto in der Einfahrt stehen sah. Um diese Zeit? Hatte er nicht diese Woche Spätschicht im Büro und eigentlich erst um acht Feierabend? Und wieso brannte im Gästezimmer Licht? War Besuch da? Die Mädchen waren heute beim Schwimmen, sie konnten nicht vor dem Computer sitzen. Wahrscheinlich hatten sie das Licht vergessen auszumachen.
Simone schloss die Tür auf. Der Hund lag in seinem Körbchen, reckte sich träge und wedelte mit der Schwanzspitze, als er sie sah. Alle Türen in der Diele waren geöffnet, nur die zum Gästezimmer nicht.
»Gerald?«
Sie lauschte einen Moment. Die Tür wurde aufgerissen. Geralds Haar war ungekämmt, seine Augenlider zuckten.
»Du bist schon da?«
»Ja, ich war beim Arzt.«
»Bist du krank?«
Simone schüttelte den Kopf. »Nichts Ernstes, ein bisschen schwacher Kreislauf. Und du? Warum bist du schon hier? Du hast doch Spätdienst?«
»Nein. Das war letzte Woche. Aber du kriegst ja nichts mit. Ich bin schon eine Weile zu Hause.«
Er machte eine kleine Pause, bevor er weiterredete. »Die Kinder ... hatten Probleme mit dem Computer; ich ... ich repariere ihnen das gerade.«
Simone überhörte seinen Vorwurf und sie überhörte auch den zittrigen Unterton in seiner Stimme. Sie ging die Treppe rauf und sagte im Umdrehen: »Ich leg mich hin. Mir geht’s nicht gut.«
Sie sah nicht, dass Gerald sich nervös durch die Haare fuhr, den Mund öffnete, um etwas zu sagen, und es dann doch nicht tat und wieder ins Gästezimmer ging, nachdem er oben die Schlafzimmertür hatte zuklappen hören.
Simone schlief unruhig, träumte wirres Zeug und wachte mehrmals
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