Im Netz der Meister (German Edition)
sowieso Bände. Irgendetwas an seiner Wortwahl, an seinem Schreibstil faszinierte sie.
Simone schrieb ihm: »Guten Abend. Es gibt Profile, an denen kann man nicht vorbeiziehen, ohne eine Spur zu hinterlassen.«
Ihr Standardspruch funktionierte immer, alle Männer antworteten darauf.
Your Top antworte auch, schon ein paar Minuten später: »Danke für deine Zeilen. Tut mir leid, du bist nicht das, was ich suche.«
Wie bitte? Sie schrieb zurück: »Woher willst Du das wissen?«
Er antwortete nicht mehr.
Simone war wütend. Und enttäuscht. Irgendwie.
Dieses Profil gefiel ihr. Der Mann hatte ein Bild seiner Augen auf seiner Seite: blaue Augen, deren süffisanter Ausdruck sie beinahe hypnotisierte. Sie träumte während dieser unruhigen Nacht von den Augen.
Sie wusste, dass sie es mit einem Dom zu tun hatte. Ihr Jagdinstinkt war geweckt. Und am nächsten Morgen wusste sie, wie sie diesen Mann ködern wollte.
Obwohl Karin Dienst hatte, ging Simone vormittags ins Geschäft. Ihren Friseurtermin wollte sie verschieben, das hatte Zeit. Sie hatte Wichtigeres zu tun. Sie wollte ihren Plan umsetzen. Karin saß vor dem Computer und klickte blitzschnell die Love.Letters-Seite weg, als Simone hereinkam, aber Simone hatte schon durch die Schaufensterscheibe gesehen, dass Karin nicht arbeitete, sondern chattete. Eine Kundin stand vor einem der Regale, Karin schien sie gar nicht bemerkt zu haben.
»Du verzeihst mir, nicht wahr, ma chérie?«, säuselte Karin und reagierte sofort auf Simones energische Kopfbewegung in Richtung der Kundin. Sie stand rasch auf und stöckelte über den Sisalboden des Buchladens, um die stumme Anweisung auszuführen.
Simone begann eifrig, in Ordnern und Büchern zu blättern, so, als suchte sie etwas Wichtiges.
Die Kundin verließ den Laden, ohne etwas gekauft zu haben. Verlegen grinsend stand Karin vor dem Ladentisch, mit ihren hohen Absätzen war sie mindestens einsfünfundneunzig lang. Sie trug ein türkisfarbenes Chiffonkleidchen und schwarze Nylons in den offenen Sandalen.
»Musst du eigentlich so aufgetakelt rumlaufen? Weißt du nicht, wie bescheuert es aussieht, wenn man vorne in den Schuhen die verstärkte Spitze der Strümpfe sieht? Und was soll neuerdings dein Spleen mit den Handschuhen? Kein Wunder, dass du nichts verkaufst!«
Karin schnappte nach Luft.
»Was ist mit dir los, Simone? Hast du Kummer, oder warum bist du so aggressiv? Ich habe dir nichts getan!«
In ihren Augen schimmerten Tränen, die Simone jedoch nicht im geringsten beeindruckten.
»Ich habe keinen Kummer, sondern ein Geschäft, das vom Verkauf lebt. Und ich habe eine Verkäuferin, die sich lieber um ihre virtuellen Liebschaften kümmert als um die Kunden und die hier rumläuft, als sei das keine Buchhandlung, sondern ein Ball der einsamen Herzen.« Simone wusste selbst nicht, warum sie so angriffslustig war. Zwei dicke Tränen kullerten über die helle Make-up-Schicht in Karins blassem Gesicht.
»Was ist nur los? Immer hackst du auf mir herum! Dabei biete ich dir meine ehrliche und aufrichtige Freundschaft an, und du kränkst mich dauernd so sehr.«
»Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ich ärgere mich, wenn du chattest, statt zu arbeiten. Ich kann es mir nicht leisten, deine Online-Sucht zu finanzieren.«
»Du bist doch selbst nicht besser!«, rief Karin empört.
Simone sah sie an. Sie wusste, dass Karin Recht hatte.
Und sie sagte kalt: »Es ist mein Laden. Und ich bezahle dich von meinem Geld. Es ist mein Computer, und den hast du künftig nur noch für deine Arbeit zu benutzen und sonst nicht mehr. Ist das klar?«
Karin schlug die Hände vors Gesicht und schniefte herzerweichend. Ihre knochigen Schultern zuckten unter dem dünnen Chiffon und ihre riesigen Ohrringe schaukelten in diesem Rhythmus mit.
Nach dem Streit mit Karin fuhr Simone in die Stadt, den Termin beim Friseur verschob sie nun doch nicht. Sie war ziemlich gereizt, behandelte ihre Friseurin ungerecht, war mit der Frisur überhaupt nicht zufrieden und explodierte fast, als Julia sich mittags darüber beschwerte, dass es schon wieder nur Salat und Toast gab.
Gegen Abend fuhr sie noch einmal in die Buchhandlung, sie musste an ihren Rechner. Sie wollte diesen Typen Your Top kennen lernen. Auf dem Weg dorthin gingen ihr viele Gedanken durch den Kopf.
Warum denke ich kaum an Karel, obwohl die Session klasse war? Müsste ich nicht in ihn verliebt sein? Warum bin ich ständig weiter auf der Suche, obwohl ich mit Karel ein
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