Im Netz der Meister (German Edition)
Jenny und Julia waren bei Freundinnen. Simone hatte Eintopf gekocht, sie brauchten ihn abends nur in der Mikrowelle aufzuwärmen.
Sie hatte Gerald und den Mädchen gesagt, dass sie mit Adele Fuchsberg einen feuchtfröhlichen Frauenabend in der Kölner Altstadt verbringen wollte. Sie würde Adele bei Gelegenheit um den Gefallen eines Alibis bitten, im Moment bestand dazu kein Anlass, denn ihre Familie kannte die neue Verkäuferin noch gar nicht.
Simone legte eine CD von Chris Rea ein und drehte die Musik laut auf. Sie vergoss großzügig Chanel Badeöl in der Wanne und entspannte sich fast eine Stunde in dem duftenden Wasser.
Sie rasierte sich sorgfältig. Sie drehte sich die Haare auf dicke Wickler und trug eine Maske gegen müde Haut auf. Sie lackierte sich Finger- und Fußnägel in leuchtendem Rot. Sie cremte sich sorgfältig ein und wählte ihre Garderobe aus: schwarze Dessous, halterlose Strümpfe, ein knielanges Etuikleid aus Seide, eine taillierte Samtjacke und hochhackige Pumps, alles in Schwarz. Mark hatte sie angewiesen, ein Kleid zu tragen. Er wollte Beine sehen.
Die Augen betonte sie mit dunkelgrauem Puder, den sie mit einem breiten Pinsel gekonnt verteilte. Sie nahm reichlich Wimperntusche, wasserfeste, die nicht verschmieren konnte.
Langsam , schalt sie sich, wir machen doch keine Session, wir wollen uns nur mal sehen. Mark hat es nicht nötig, sofort eine Session zu verlangen, der hat sich im Griff. Und wenn er gar nicht kommt? Nein. Er wird da sein. Sie wusste es einfach.
Ein Hauch Puderrouge auf die Wangen, schlichte Perlenohrringe und knallroten Lippenstift: Rouge Flamboyant von Chanel, er hatte ein Vermögen gekostet und ihr Wochenbudget empfindlich geschmälert. Simone prüfte ihr Outfit vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer. Ja, sie war sehr zufrieden. So konnte sie Mark gegenübertreten. Sie würde ihm gefallen, natürlich, und er würde sie haben wollen. Und dann hatte sie ihn.
Sie fuhr mit dem Zug um halb zehn nach Köln West. Immer wieder prüfte sie ihr Spiegelbild in den Scheiben des Abteils. Eine gute halbe Stunde später stieg sie in die U-Bahn und fuhr bis zum Friesenplatz. Gleich um die Ecke, in der Limburger Straße, ging sie schnurstracks auf das Lokal zu.
Rote Seile und ein roter Teppich vor der Tür begrenzten den Eingangsbereich, ein gelangweilt blickender Türsteher musterte Simone und winkte sie herein. Selbstbewusst und mit geradem Rücken ging sie zur Garderobe, gab ihren Mantel ab und suchte sich einen Platz an der langen Bar, von dem aus sie den Eingang im Auge hatte. Es war Viertel nach zehn, noch reichlich Zeit, bis er kommen würde. Simone trank einen Espresso, einen Grappa und bestellte sich dann einen Prosecco.
Die Lounge füllte sich schnell, um kurz vor elf war jeder Platz besetzt. Moderne Musik, elegante Gäste, antikes Mobiliar und barocke Dekorationen – das war ein toller Rahmen für ihr Treffen mit Mark.
Simone ließ die Tür nicht aus den Augen. Nur einen Moment lang sah sie nicht hin, als der Barmann ihr den zweiten Prosecco servierte und irgendeinen Spruch losließ, den sie mit einem zauberhaften Lächeln quittierte. Fünf nach elf.
Sie ließ den Blick durch das fast schon überfüllte Lokal schweifen. Kein Mark. Ein Mann fiel ihr auf, sie sah ihn in dem riesigen Spiegel hinter dem Tresen. Er war sehr groß, braun gebrannt, breitschultrig, trug einen schwarzen Anzug und darunter ein weißes Hemd ohne Krawatte. Sein dunkelblondes Haar hing ihm ein wenig jungenhaft frech in die Stirn. Simone drehte sich langsam um und blickte ihm ins Gesicht. Der Mann hatte helle Augen und lächelte sie süffisant an. Seine Hände steckten lässig in den Hosentaschen. Mark?
Ihr wurde eiskalt. Ihr wurde heiß. Dann wieder kalt.
Der Mann hatte ein Charisma, das den ganzen Raum erfüllte. Die Musik schien leiser zu werden, Simone hörte sie wie durch eine Wattewand. Sie sah dem Mann in die Augen und lächelte zurück. Und blieb wie angewurzelt auf ihrem Barhocker sitzen. Sie konnte sich nicht rühren. Der Mann zog wie fragend eine Augenbraue hoch und lächelte ein wenig breiter. Er hatte ein Grübchen im Kinn. Alle guten Männer haben dieses Grübchen, das besonders unter einem Zweitagebart umwerfend aussieht , dachte Simone. Sie schlug devot die Augen nieder. War er das nun oder war er das nicht?
Als sie wieder hochguckte, war er weg.
Unwillkürlich atmete sie scharf ein, sah sich hektisch in der Bar um, wo war, wo war er? Er stand an der Stirnseite des Tresens,
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