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Im Netz des Teufels

Im Netz des Teufels

Titel: Im Netz des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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anbelangte, so stellte Michael fest, dass er ein Naturtalent war. Er erinnerte sich, wie sein Vater vor den Öfen stand, die Choreografie eines Künstlers, ein Meister seines Handwerks. Michael war weit davon entfernt, die perfekten Pirukad zu kreieren, aber allmählich gewann er Stammkunden.
    Nachdem er die Mittagsbestellungen für die nahe gelegenen Hotels zusammengestellt hatte, goss er sich eine Tasse Kaffee ein. Die Mädchen saßen an einem Tisch am Fenster und kicherten wie immer über irgendwelche Geheimnisse. Als Michael aus dem Fenster schaute, sah er eine Frau an der Ecke stehen, die die Mädchen beobachtete. Er geriet sofort in Panik. Wenn es um Charlotte und Emily ging, würde das jetzt immer so sein. Als Michael genauer hinsah und das Gesicht der jungen Frau erkannte, beschleunigte sich sein Herzschlag, als hätte er plötzlich die zweite Hälfte eines längst vergessenen Medaillons gefunden.
    Die Frau bemerkte seinen Blick, hob eine Hand und winkte verhalten.
    Michael lief hinaus, doch als er die Ecke erreichte, war die Frau schon verschwunden und in der Menschenmenge auf der Pikk-Straße untergetaucht.
    Als er in die Bäckerei zurückkehrte, wartete Abby an der Tür auf ihn.
    »Hast du die Frau gesehen?«, fragte er. »Die blonde Frau in dem roten Mantel?«
    »Sie war gerade hier«, sagte Abby. »Sie hat dort in der Ecke gesessen.« Sie zeigte auf den Tisch neben der Heizung.
    Michael durchquerte den Raum. Auf dem Tisch lag eine weiße Serviette mit der sorgfältig angefertigten Zeichnung eines auf einem Hügel gelegenen Friedhofs. In der Mitte war ein kleines Kreuz. Michael sah keinen Grabstein und keinen Namen, aber er wusste, wessen Grab es war und was es bedeutete.
    Es heißt, er habe ein junges Mädchen aus dem Landkreis Ida-Viru geschwängert. Eine Ennustaja. Sie brachte drei Kinder zur Welt, aber eines wurde tot geboren.
    »Was ist los?«, fragte Abby, die sich neben ihn stellte.
    Michael überlegte, ob er es seiner Frau sagen sollte. Stattdessen steckte er die Serviette ein und sagte:
    »Es ist so ein schöner Tag. Ich schlage vor, wir machen heute etwas eher zu.«
    Ein paar Stunden später saßen sie am Strand von Pirita, unweit der Stelle, wo die Segelwettbewerbe der Olympischen Sommerspiele von Moskau 1980 stattfanden. Es wehte ein starker Wind, und die Luft war ein wenig kühl – die Strände von Tallinn lockten erst Ende Juni Besucher an –, aber das Wasser glitzerte, und die Brise trug die Hoffnung auf den kommenden Sommer in sich.
    Nach dem Essen liefen die Mädchen hinunter ans Wasser. Sie saßen Rücken an Rücken am Strand und malten mit kleinen Zweigen Bilder in den nassen Sand. Charlotte malte etwas, das einem Berg ähnelte. Emily malte ein Pferd. Vielleicht war es auch ein Kamel.
    Michael ließ den Blick über den Finnischen Meerbusen schweifen. In den sechs Monaten, ehe sie die Staaten verließen, machten die Mädchen eine intensive Psychotherapie. Die Therapeuten gewannen nicht den Eindruck, die Ereignisse des Frühlings 2009 hätten ein bleibendes Trauma hinterlassen. Doch es bestand die Gefahr, dass die Wunden eines Tages aufbrachen. Das würde nur die Zeit zeigen.
    Als sie später ihre Sachen zusammenpackten und zum Auto zurückkehrten, drehte Michael sich um und schaute noch einmal auf die Zeichnungen, doch die Flut hatte sie bereits überspült.
    Als die Mädchen an diesem Abend in der kleinen Wohnung über dem Café fest schliefen und seine Frau in ein Buch vertieft neben ihm saß, betrachtete Michael die Serviette, die die Frau auf den Tisch gelegt hatte. Er dachte an seine Überzeugungen, seinen Glauben an das Leben und das Wissen, dass es keine Ewigkeit gab.
    Für die Roman-Familie – Michael, Abby, Charlotte und Emily – gab es nur die Gegenwart.

Epilog

    Dezember. Im Osten von Estland schneite es. Die Hügel und die hohen, majestätischen Kiefern waren mit Schnee bedeckt. Der junge Mann, an dessen rechter Hand ein Finger fehlte, stand in einem Haus auf einem Hügel in Kolossova am Fenster und schaute hinaus. Er hatte im Internet gelesen, was passiert war. In den Zeitungen stand, Aleksander Savisaar sei eine Art Monster gewesen und habe eine Familie in New York City terrorisiert.
    Villem Aavik kannte die Wahrheit.
    Als Savisaar vor über einem Jahr weggegangen war, hatte er Villem viele Dinge erzählt und ihm viele Aufgaben übertragen, nicht zuletzt auch die Obhut des Hauses, des Grundstücks und der Tiere. Villem, dessen Eltern tot waren, sah in Savisaar viel

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