Im Notfall Buch aufschlagen: Tipps für alle möglichen Katastrophen (German Edition)
den man oft auch im Traum erlebt. Wenn man dem Psychoanalytiker davon erzählt, nickt er sanft, zieht an der Pfeife und kritzelt mit kratzender Feder die Worte «Versagensangst» oder «fürchtet Kontrollverlust» auf den Papierblock. Die meisten Menschen sterben, weil sie die Treppe hinunterpurzeln oder in der Dusche ausrutschen. Die spektakulären Felswände des Grand Canyon oder 10 000 Meter Leere unter dem Flugzeugsitz machen aber mehr Angst als die frisch gewischte Marmorfläche im Bad. Immer wieder überleben Menschen aber auch Stürze aus höchster Höhe, wie zum Beispiel der 22-jährige Thomas Magill, der im Juni 2010 von einem 40-stöckigen Hochhaus in New York City sprang und mit Knochenbrüchen davonkam, weil er auf einem Dodge Charger landete, der im Halteverbot geparkt hatte; er durchschlug das Autodach und blieb auf dem Rücksitz des Oldtimers liegen.
Man sollte sich jedoch nicht ganz auf sein Glück verlassen. Es gibt bei einem Sturz auch Faktoren, die man beeinflussen kann. Und: Je länger ein Sturz dauert, desto besser sind die Überlebenschancen. Eine Anleitung für den perfekten Sturz, 10 000 Meter in drei Minuten, die eigentlich in jedem Flugzeug zu finden sein sollte:
10 000 Meter: Vor einer Sekunde saßen Sie noch entspannt auf Platz 17F der Airbus-Maschine, nippten an einem Gin Tonic und verfolgten mit halb geschlossenen Lidern eine namenlose Romantic Comedy mit Jennifer Aniston. Vielleicht hatten Sie den Kopf an die Kunststoffwand der Kabine gelehnt, ließen sich von dem dumpfen Wummern und den Vibrationen der Triebwerke in einen tiefen Schlaf singen. Plötzlich ein Knall, Licht, Sturm, das Flugzeug ist weg, der «unwahrscheinliche Fall einer Notlage», von dem die Stewardess bei ihrem Vortrag immer spricht, ist eingetreten. Das Flugzeug ist auf Reiseflughöhe explodiert und zerbrochen. Und noch etwas Unwahrscheinlicheres ist passiert: Sie haben die Explosion überlebt und stürzen nun auf die Erde zu. 10 000 Meter. Es bleiben etwa drei Minuten bis zum Touchdown und keine Zeit für Panik und negative Gedanken. Stattdessen gute Nachrichten: Erinnern Sie sich an den Physik-Unterricht und daran, dass ein Körper im freien Fall nicht unbegrenzt beschleunigt, sondern nach etwa sieben Sekunden die sogenannte «terminal velocity» erreicht, also den Punkt, in dem der Luftwiderstand so groß wird, dass die Gravitation nicht weiter aufs Gaspedal drücken kann. Die Höchstgeschwindigkeit liegt je nach Body-Mass-Index und Körperform zwischen 120 und 140 Stundenkilometer. Und denken Sie auch kurz an die Geschichte von Vesna Vulovic, einer serbischen Stewardess, deren DC-9 im Jahr 1972 in 11 000 Meter Höhe über der Tschechoslowakei explodierte, und die nach langem Sturz auf einem steilen, verschneiten Berghang aufkam und überlebte. In 10 000 Meter ist der Sauerstoffgehalt sehr niedrig. Bald werden Sie das Bewusstsein verlieren. Genießen Sie die kurze Pause von Todesangst und Chaos.
7000 Meter: Das Bewusstsein springt wieder an. Es war kein Traum. Nehmen Sie die Fallschirmspringer-Positionen ein: ausgestreckte Arme, gebeugte Knie und leichtes Hohlkreuz. So erhöhen Sie den Luftwiderstand und schaffen eine stabile Flug-, nein, Fallposition. Schauen Sie sich um. Das Panorama ist einzigartig, aber Sie sind nicht hier, um die Aussicht auf Schäfchenwolken, den Sonnenuntergang im Westen oder die Schönheit der eurasischen Landmasse zu bewundern. Stellen Sie fest, ob in Ihrer Nähe weitere Personen oder Wrackteile zu Boden rasen, die eine Kollisionsgefahr darstellen könnten. Kabinenteile oder Metallstücke können aber auch nützlich sein: Laut der Free Fall Research Page (FFRP), einer Online-Datenbank und einer Art Guinness-Buch der Sturzrekorde, die eine Aufstellung aller Ultra-Stürze seit den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts gemacht hat, erhöht sich die Überlebenswahrscheinlichkeit des Stürzenden drastisch, wenn er in einem Kabinenteil steckt oder an eine Sitzreihe gebunden ist. Wreckage Riding nennt die FFRP diese Technik.
5000 Meter: Der Erdball rast auf Sie zu. Strukturen und Landschaft werden erkennbar. Es ist Zeit, eine Landezone auszuwählen. Im freien Fall ist man nicht total hilflos, sondern kann die Richtung beeinflussen und mehrere Kilometer seitwärts fliegen. Legen Sie die Arme an und strecken Sie die Beine aus, um sich nach vorne zu bewegen. Strecken Sie die Arme aus und versuchen Sie mit den Fersen den Hinterkopf zu berühren, um den Rückwärtsgang einzulegen. Mit Schulter
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