Im Palazzo sueßer Geheimnisse
spazierten Sie dann allein hier herum?“
„Eigentlich habe ich starke Nerven, und ich bin nicht herumspaziert. Ich versuchte nur, zu meinem Hotel zurückzufinden. Dabei habe ich mich verirrt.“
„Aber nicht rettungslos, glauben Sie mir“, kommentierte er trocken, musterte sie eine Weile schweigend und fragte schließlich: „Was haben Sie sich nur dabei gedacht, Ihre Schuhe auszuziehen und barfuß loszustürmen?“
Ein wirklich dummer Fehler. Sie hätte in eine Scherbe treten und sich verletzen können. Aber es gab Schlimmeres!
Entschlossen suchte Lucy seinen Blick und war ziemlich überrascht, als sie darin statt des erwarteten Spotts einen Funken unwilligen Respekts entdeckte. Doch alles, was er sagte, war: „Möchten Sie noch einen Brandy?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Vielleicht einen Espresso?“
„Dazu sage ich nicht Nein.“
Ihr Begleiter gab dem in der Tür wartenden Kellner ein Zeichen, bestellte den Kaffee auf Italienisch – was bei ihm ebenso fließend klang wie auf Englisch – und fragte weiter: „Was führt Sie nach Venedig?“
Während er sprach, hatte Lucy wie hypnotisiert auf seinen markanten Mund mit den sinnlichen Lippen gestarrt. Jetzt riss sie sich los, um sich von den Schmetterlingen in ihrem Bauch abzulenken, und antwortete mit einer Gegenfrage: „Vielleicht haben Sie von Peter Sebastian gehört?“
„Sollte ich?“
„Er ist ein sehr begabter Maler und Bildhauer. Soweit ich weiß, hat er viele seiner Werke in Venedig gefertigt.“ Da ihr Begleiter nichts sagte, sprach sie weiter: „Ich bin hier, um eine Ausstellung seiner Skulpturen und Plastiken vorzubereiten.“
„Dann kennen Sie sich gut aus in Venedig?“
„Überhaupt nicht.“
Er hakte nach: „Aber Sie waren schon einmal hier, Miss …?“
„Weston … Lucy Weston. Nein, ich bin zum ersten Mal hier, überhaupt zum erstem Mal in Italien.“
Aus unbegreiflichen Gründen schien er plötzlich verärgert, was Lucy sehr verwirrte und sie ins Stottern brachte. „V…verraten Sie mir auch Ihren Namen?“
Als wäre er nie verärgert gewesen – wenn er es überhaupt gewesen war –, antwortete er lächelnd: „Ich bitte um Verzeihung für mein Versäumnis. Mein Name ist …“, er zögerte unmerklich, „… Michele Lorenzo.“
„Oh … Ich dachte, Sie wären Engländer.“
„Nein, ich bin Italiener.“
Merkwürdig. Warum hatte er sie gleich auf Englisch angesprochen? Er konnte doch gar nicht wissen, dass …
Lucy brach den Gedanken ab, als ihr Begleiter ergänzte: „Ich wuchs in England auf und studierte auch dort. Aber ich bin gebürtiger Venezianer.“ Der Stolz auf seine Herkunft war nicht zu überhören.
Lucy schluckte. Sie hatte richtig vermutet. „Dann leben Sie in Venedig?“
„Hier bin ich zu Hause. Obwohl ich geschäftlich auf der ganzen Welt zu tun habe und viel reise.“ Er hielt inne, als der Kellner den Kaffee servierte, und sprach weiter, während Lucy ein Tütchen Zucker in ihre Tasse rieseln ließ und umrührte. „Wie ich sehe, sind Sie verlobt“, bemerkte er.
Lucy blickte auf ihre linke Hand, spielte erst die Überraschte und senkte schließlich verlegen den Blick. Sie hätte den auffälligen Diamantring zum Mond wünschen können. „Ja, ich …“, begann sie, als Michele Lorenzo sie unterbrach.
„Gehört Ihr Verlobter auch zur Kunstszene?“
„Nein, er ist Bauingenieur.“
Blond und muskulös wie ein Rugby-Stürmer, war Paul eher bodenständig und zeigte wenig Verständnis für alles, was auch nur entfernt mit Kunst zu tun hatte.
Nach dem Tod ihrer Mutter war er ihr eine Stütze gewesen, hatte geholfen, wo er konnte, bis sie nicht mehr wusste, was sie ohne ihn machen sollte. Und da sie sich damals an einem Tiefpunkt befunden hatte, war ihr seine Fürsorge willkommen gewesen.
Aber irgendwann begann er damit, sie zur Heirat zu drängen.
Lucy hatte versucht, ihm zu erklären, dass sie sich ihrer Gefühle erst noch klar werden müsste. Aber Paul war wie ein menschlicher Bulldozer. Attraktiv und selbstsicher, wusste er immer genau, was er wollte – und was sie wollen sollte. Es war hart – nein, in ihrem depressiven Zustand nahezu unmöglich gewesen –, sich gegen ihn zu behaupten.
„Und wie heißt Ihr Verlobter?“
„Paul Jenkins.“
„Sind Sie schon lange verlobt?“
Warum interessierte ihn das?
Lucy hätte das Thema ohnehin am liebsten ausgeklammert, antwortete daher nur vage: „Ach, nicht lange.“
Einen Moment schien es ihr, als hätte sich die Miene
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