Im Papierschiff bis nach Irland (German Edition)
falten.“ Gut, der Anfang ist gemacht. „Und jetzt,
was muss ich jetzt machen?“ Fragend blicke ich in das Gesicht meines Sohnes.
Doch seinerseits hat er leider nur Schweigen und Schulterzucken zur Antwort. Oh
nein! Meine Tochter schaut schon gierig: „Wann ist mein Schiffchen fertig?“ Ich
nehme mir Leos aus der Schule mitgebrachtes Schiffchen und versuche zu
ergründen, wo denn noch Knicke zu machen sind, damit mir der Nachbau gelingen
kann. Insgeheim frage ich mich, wie Leo sein Hausaufgabenschiff ohne Hilfe
hinbekommen will. Ich ahne bereits Schlimmes, denn ich bekomme Julias
Schiffchen nicht hin. Leos Arbeitsblatt ist fertig, als ich feststelle, dass
ich das Schulschiff vorsichtig auseinanderfalten muss („mach mir ja nicht mein
Boot kaputt!“) um klüger zu werden. Das böse Wort mit dem „Sch“ am Anfang liegt
mir schon auf der Zunge. Aber „Sch …“ darf man nur sagen, wenn es wirklich ganz
schlimm ist. Also verkneife ich mir das Wort (vorerst?). Ich falte und schaue
und knicke und schaue und staune und schüttele den Kopf. Leo räumt den
Schreibhefter zurück in seine Schultasche. „Weißt du jetzt, wie das Schiffchen
geht?“, fragt er erwartungsvoll. Ich atme tief durch, schlucke den nächsten
Fluch hinunter und verneine. „Dann fange ich schon mal mit der Schachtel an.
Die geht leicht. Ich brauche dann noch Schere und Kleber. Kannst du mir das holen?“
Das ist der Moment, meinen Lieblingsspruch anzubringen: „Leo, ich helfe dir
gerne, wenn du etwas nicht kannst. Aber Schere und Kleber kannst du selber
holen.“ Oh nein! Was für ein blöder Spruch. Während Leo Schere und Kleber und
sogar eine Bastelunterlage holt, höre ich ihn schon klagen, dass er das Schiff
nicht alleine falten kann. Wirklich nicht. Und ich – ich kann es doch auch
nicht! Gerade habe ich noch laut getönt, dass ich ihm gerne helfe, wenn er
etwas nicht kann. Ich drehe das Schulboot, falte es immer wieder zurück, um nur
ja nicht zu vergessen, wie es letztendlich auszusehen hat. Leo erzählt mir
etwas von 16 Quadraten, ich höre gar nicht richtig hin. Julia fragt, wann sie
endlich ihr Schiff bekommen kann, ich höre erst recht nicht hin. Dann ist Leos
Schachtel fertig, ein Boden und ein Deckel. Sehr schön. Ich koche innerlich,
ich wüte, falte, schaue, knicke, verzweifle fast. Leo erkennt inzwischen den
Ernst meiner Lage und versucht zu helfen, indem er vorsichtig vorschlägt,
zunächst den Hut zu falten, der automatisch kommt, bevor das Schiff fertig ist.
Aha. Ich bekomme aber auch den Hut nicht hin. Traurig aber wahr, ich muss
jemanden fragen. Mein Telefonjoker ist fällig. Mein lieber Ehemann kann
Papierflieger falten. Richtig gute, die wirklich und wahrhaftig fliegen können.
Vielleicht kann er auch Schiffe falten? Er ist im Büro – ich rufe an. Leider
kann er mir nicht helfen. Das Telefongespräch dauert keine 30 Sekunden und
endet mit den Worten „Ich wünsche dir viel Glück!“ Langsam wächst mein Ehrgeiz.
Das muss doch zu schaffen sein. Nur Geduld, nicht aufgeben. Mein Publikum (Sohn
und Tochter) wartet und hofft. Von dieser Seite ist keine Hilfe zu erwarten.
Jetzt nur nicht nervös werden. Warum versteht denn keiner, dass eine Mama auch
nicht alles kann, nicht alles können will? Da fällt mir wieder mein Lieblingsspruch
ein: „Ich helfe dir gerne, wenn du etwas nicht kannst …“ Habe ich diese Worte
nicht als Kind auch schon gehört? Ich frage meine Mutter. Jawohl. Omis können
alles! Ha! Meine Mutter kommt, bringt viel guten Willen und jede Menge
Zeitungspapier mit und fängt an. „Du musst zuerst einen Hut falten. So einen,
den man beim Anstreichen aufsetzen kann, damit die Haare nicht voll Farbe
werden.“ Danke, jetzt weiß ich genau, weshalb ich ungeeignet bin, die Wände zu
streichen. Ich kann keinen Hut falten. Meine Mutter gibt sich rechte Mühe. Sie
faltet und schaut und knickt und schaut. Ich versuche ebenfalls weiterhin mein
Glück. Nach einer Weile gibt Mutti auf (Omis können auch nicht alles, aber das
habe ich immer schon gewusst) und bewundert mich, dass ich nicht locker lasse.
Prima, mein Publikum wächst. Prima, jetzt wartet noch einer mehr darauf, dass
ich endlich alle verfalteten Rechtecke nehme und sie laut schimpfend in den
Müll werfe und zugebe, dass ich kein Schiff falten kann. Zum Glück ist es
inzwischen Zeit, Leo zum Fußballtraining zu bringen. Hallenschuhe, Trikot,
Turnhose, Trinkflasche, ich bin dankbar für die Unterbrechung und auch für die
frische Luft draußen.
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