Im Papierschiff bis nach Irland (German Edition)
Julia will bei Omi bleiben, Leo ist beim Training. Ich
will es jetzt wissen. In einer Dreiviertelstunde muss ich Leo an der Turnhalle
wieder abholen. Sind das die 45 Minuten, die mich zum Schiff bringen werden?
Wie durch ein Wunder habe ich plötzlich den Kniff heraus. Ja, das ist der Hut!
Und das noch und dort noch. Endlich – ein Schiff – ein grünes Schiff! Ich kann
es kaum glauben. Mit goldenem Stift schreibe ich „Andrea“, den Vornamen von
Leos Lehrerin, auf das Schiffchen und überlege, ob ich die Schiffstaufe mit
einem Glas Sekt feiern soll. Das erscheint mir aber doch etwas übertrieben.
Schnell noch ein Schiffchen für Julia falten. In rot. Dann noch einen Hut.
Möchte vielleicht noch jemand ein Schiffchen? Als ich Leo vom Fußball abhole,
erzähle ich stolz, dass ich ihm nun seine Hausaufgaben erklären kann. Ich falte
wie selbstverständlich – ganz langsam, damit Leo Schritt für Schritt alles
nachmachen kann – ein Schiff. Auch Leo hat seins fertig. Den Hut schafft er
danach alleine. „Danke Mama. – Ich habe Hunger!“ Und ich habe noch nicht
gekocht. Jetzt komme mir bloß keiner, der mich eine Rabenmutter nennen möchte!
Morgens um sieben ist die Welt nicht in Ordnung
Bücher üben
auf mich eine magische Anziehungskraft aus. Es fällt mir schwer, an einem
Buchladen vorbei zu gehen. Ich meine, einfach nur vorbei, nicht hinein. Noch
schwieriger wird es natürlich, hinein zu gehen. Ich meine, einfach nur hinein,
nichts kaufen. Am schwierigsten wird es allerdings, wenn ich mich verführen
lasse, ein Buch zu kaufen. Welches Buch darf mit zu mir nach Hause? Viele
andere Bücher müssen im Laden bleiben, obwohl ich sie nicht minder gerne mit
nach Hause nähme. Fast verspüre ich eine Art Mitleid mit den Büchern, die ich
nicht kaufe, die ich nicht kaufen kann, weil ich nicht alles lesen kann, was
ich gerne lesen möchte. (Außerdem gibt es da auch noch das Mitleid mit meinem
Geldbeutel.) Ich muss eine Entscheidung fällen. Eine schreckliche Entscheidung,
die unter Umständen etliche Minuten beansprucht. Minuten – nicht Stunden! Die
Stunden verbringe ich mit dem Lesen: zu Hause auf dem Sofa, auf der Terrasse im
Liegestuhl, abends im Bett, im Urlaub am liebsten von morgens bis abends spät
in die Nacht, im Wartezimmer beim Arzt, beim Friseur, wenn ich Tochter Julia
zum Reiten gebracht habe und es sich nicht lohnt, nach Hause zu fahren bevor
ich sie wieder abholen muss, während Sohn Leo beim Schachtraining nur noch schnell
eine Partie zu Ende spielen muss und wann immer sich sonst noch eine Pause
ergibt. Ich liebe Bücher. Nie käme ich auf die Idee, ein Buch wegzuwerfen. Man
könnte es ja nochmal brauchen. Es macht mir gar nichts aus, ein gutes Buch
zweimal zu lesen. Oder dreimal. Gerne leihe ich meine Bücher an Freunde aus.
Bücher werfe ich nicht weg. Liebe Bücher, ihr braucht keine Angst zu haben, ihr
kommt bei mir nicht zum Altpapier, ihr werdet nicht recycelt! Das erkläre ich
auch Julia, die für die Schule eine Lektüre benötigt, für die die Lehrerin eine
Sammelbestellung aufgeben möchte. „Du brauchst dich nicht in die Liste
einzutragen, dein Bruder hat das gleiche Buch auch schon in der Schule gelesen.
Es steht bei uns noch im Regal.“ „Darf ich das Buch denn jetzt gleich haben?
Dann kann ich es als erste aus meiner Klasse lesen.“, wünscht meine Tochter,
die gerne einen kleinen Vorsprung vor ihren Mitschülern haben möchte. „In
welchem Schrank steht es? Ich hole es mir gleich heraus.“ Schon ist Julia
unterwegs, sich das Buch zu holen. Ja, in welchem Schrank steht es denn? Wir
hätten da mehrere zur Auswahl. In manchen Schränken stehen die Bücher sogar in
zwei Reihen voreinander, was natürlich bedeutet, dass man die aus der zweiten
Reihe erst identifizieren kann, wenn man die vorderen heraus genommen hat. Es
ist vier Jahre her, dass Leo das Buch gebraucht hat. Da soll ich heute, jetzt,
sofort wissen, wo es damals hingestellt wurde? Vielleicht sogar gar nicht von
mir sondern von meinem Sohn? Ja, ich soll es wissen! (Wenn ich jemals
wiedergeboren werde, so richte ich bereits heute die Bitte an meine zukünftigen
Eltern, mich „Jesus“ zu nennen, damit ich weiß, dass Übermenschliches von mir
erwartet wird.) Alternativ soll ich das Buch suchen, heute, jetzt sofort. Meine
Tochter möchte lesen. Ein Kind, das lesen möchte, sollte man nicht ausbremsen.
Also beginne ich zu suchen. Meine Tochter kommt neugierig angelaufen, als sie
mich plötzlich laut lachen hört und
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