Im Papierschiff bis nach Irland (German Edition)
Julia auf der Wendeltreppe. Nicht für den
wild tanzenden Leo. Auch nicht für meinen noch immer schlafenden Mann. Nein,
für mich. Leo wirbelt durch den Raum, Julia schlurft verschlafen zu ihrem
Stuhl. Julia kneift verbissen die Augen zusammen, sie wird vom Sonnenlicht
geblendet. Leo freut sich am schönen Wetter und am Sonnenschein. Spätestens in
diesem Augenblick heißt es für mich, hellwach zu sein, sonst gibt es gleich
Streit. Ich weise Leo darauf hin, dass er seine Schultasche noch packen muss
(seine Energie muss etwas zielgerichteter eingesetzt werden) und biete Julia
an, die Jalousie ein wenig herunter zu lassen. Umgehend beklagt sich Leo, dass
es so dunkel sei, dass er seinen Stundenplan nicht mehr lesen könnte. Julia
brummelt, Leo möge nicht so laut sein. Irgendwie gelingt es mir, Mord und
Todschlag zu verhindern. Ich drücke Leo noch sein Pausenbrot und eine Flasche
Wasser in die Hand, begleite ihn zur Tür und rufe ihm: „Einen schönen Tag, ich
hab‘ dich lieb!“, hinterher und wende mich meiner Tochter zu, die sich nach
zwanzig Minuten noch immer nicht entschieden hat, welche Cornflakes sie gerne
frühstücken möchte. Ich gebe vor, von der Terrasse aus zu überwachen, wann der
Schulbus vorbeifährt und gönne mir meine erste Zigarette des Tages. Das bringt
mir nicht die erhofften fünf Minuten Auszeit, sondern ruft Julia auf den Plan:
„Mama, du sollst nicht rauchen!“ Gerade jetzt schlägt die Kirchturmuhr sieben.
Der Schulbus fährt vorbei, ich mache hastig die Zigarette aus und setze mich zu
meiner Tochter, die mich anschweigt. Ich schweige zurück, versuche, langsam
wieder einen Gang herunter zu schalten. Nein, morgens um sieben ist die Welt eindeutig
nicht in Ordnung. Mir geht im Kopf herum, was im Büro heute als erstes getan
werden muss, dass ich vorher noch eine Maschine Wäsche anstellen möchte, dass
im Esszimmer gekehrt werden muss, dass … Wo bleibt denn nur mein Mann? Da höre
ich, dass er die Dusche angestellt hat. Dem geht es gut. Er darf als Letzter
aufstehen. Aber ab dem kommenden Schuljahr, da geht es mir gut. Dann geht Julia
zur selben Schule wie Leo und sie muss denselben Schulbus erwischen wie er.
Beide werden um zehn vor sieben das Haus verlassen müssen. Und ich kann mich um
sieben noch für ein Stündchen ins Bett legen. Dann ist die Welt wieder in Ordnung
– zumindest meine kleine Welt.
Der Helm
Wenn Julia
mittags aus der Schule (drittes Jahr Grundschule) nach Hause kommt, kann ich
umgehend an ihrem Gesichtsausdruck ablesen, wie die Stimmungslage ist. Heute
ist sie noch nicht durch die Haustüre, als sie mir wortlos ihren Fahrradhelm
entgegenhält. Er baumelt an ihrer Hand und das Band ist lose. Genauer gesagt
ist das Band auf der einen Seite und hinten völlig aus allen Schlaufen, nur an
der anderen Seite sind Band und Helm noch so gerade eben verbunden. Ein Wunder,
dass sie kein Teil auf dem Heimweg verloren hat. Julia hat schlechte Laune, sie
ist beleidigt, weil ein Kind in der Schule den Helm „beschädigt“ hat, während
sie im Klassenraum war. Selbstverständlich weiß sie nicht, wer ihr diesen
Streich gespielt hat. Jetzt habe ich auch schlechte Laune, weil ich genau weiß,
dass ich den Helm wieder auf Vordermann bringen muss. Dummerweise war vor zwei
Wochen ihr Helm auch schon mal „aus der Fassung“ gebracht worden. Dummerweise
braucht sie aber zwingend den Fahrradhelm für die Schule, weil die Klasse
gerade einen Fahrradführerschein macht. Natürlich gehört zum sicheren Fahrrad
auch ein sicheres Kind. Natürlich hat ein solches Kind einen Helm auf! Aber
kluge Mamas regen sich nicht gleich auf, sie schnaufen erst einmal durch, legen
den Helm mit den Worten: „Darum kümmern wir uns später!“ zur Seite und gehen
wieder in die Küche, damit das Mittagessen, das nach den Wünschen meiner
Tochter immer genau in dem Augenblick fertig sein soll, wenn sie nach Hause
kommt, nicht noch in letzter Sekunde anbrennt. Glücklicherweise bringe ich
heute etwas auf den Tisch, das nicht nur nicht angebrannt ist, sondern auch geschmacklich
bei meiner Tochter ankommt. Nachdem ich mir ihre Beschwerden über unfaire
Mitschüler, die sich hinterrücks an den Fahrradhelmen anderer zu schaffen
machen, die – wie gemein kann man nur sein – ihren Helm sogar zweimal
auserkoren hatten, hinreichend angehört habe, beruhigt sie sich allmählich.
Schließlich hat sie für ihr verkehrssicheres Fahrrad vom Polizisten einen
Aufkleber bekommen. Und der Polizist hat sich nach
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