Im Pfahlbau
eingezogen hatte, seine Hilfe zu suchen. Solches und andere kleine Leiden machte sie mit sich allein ab. Wenn sie sich nicht gesund fühlte, bereitete sie auf gut Glück eine Arznei aus gesammelten Heilkräutern, wie sie es oft von der Ahnl abgeguckt hatte, und betete zum Schöpfer, daß er ihr helfe.
Als im Laufe des Winters nicht nur die Opfergaben, sondern auch manche Mahlzeitreste über Nacht verschwanden, glaubten die Höhlenmenschen allen Ernstes, Berg- und Waldgeister seien die Diebe. In einer lauen Nacht aber entdeckte Peter zwei Mäuse, die an einem saftigen Knochen nagten. Von da an fing er sie in Fallen, das waren schräg aufgestellte Steinplatten, die er mit Holzstäbchen abstützte. Die Fettbrocken, die er daran band, dienten als Lockspeise.
Langsam gingen die Wochen des Nachwinters dahin; Schneestürme tobten, naßkaltes Tauwetter setzte ein, gefolgt von Frost und Eis – es war eine wechselvolle, unbehagliche Zeit. An Tagen, wo das vom Fels tropfende Wasser vor dem Höhlentor einen starren Vorhang aus Eiszapfen bildete, fühlten sich die jungen Menschen wie abgeschieden von der Außenwelt. Sie sehnten sich nach wärmeren Tagen.Ihre Blickte richteten sich zum Himmel, und sie lernten, auf seine Zeichen zu achten. Daß die Zeit fortschritt, merkten sie am auffälligsten daran, wie der Mond wuchs und abnahm, verschwand und wieder erschien, und wie die Sonne beim Untergehen täglich ein wenig von der Stelle wegrückte, wo sie am Vortag untergegangen war. Sie sank nicht mehr hinter dem Horn hinab, sie kam Tag für Tag näher an die Henne heran, den merkwürdigen Berggipfel über den Klammwänden, hinter dem sie im Herbst untergegangen war. Der Weg, den sie jetzt tagsüber am Himmel beschrieb, wurde länger und so auch die Dauer der Tageshelle. Vom Eisvorhang vor dem Höhlentor fiel Zapfen um Zapfen klirrend ab.
Die gelben Knospen des kleinen Winterlings hoben sich aus dem vermoderten Laub unter dem Gebüsch – ja, schon durchbrachen sie da und dort die dünn gewordene Schneedecke. Und bald darauf schoben sich die weißlichen Blüten des Frühlingskrokus aus moosigem Wiesengrund ans Licht.
In den lauen Nächten schallte aus dem Dunkel des Waldes das jammervolle Miauen der Wildkatzen und das unheimliche Paarungslied der großen Waldohreulen. Der dröhnende Donner stürzender Schneelawinen, das Prasseln und Knattern der Steinschläge steigerten die Einzugsmusik des Frühlings zu wildem Festgetön.
Immer häufiger wurden die föhnigen Tage, an denen es wegen der Lawinenstürze nicht ratsam war, auszugehen. Da arbeiteten die Höhlenbewohner in ihrem Heim. Peter, dessen Bärenfell von Tag zu Tag unangenehmer roch, entschloß sich endlich, es mit Aschenlauge zu reinigen, mit Salz und Lehm einzureiben, es zu räuchern und dann durch Klopfen und Dehnen geschmeidig zu machen. Den Schädel des Bären hatte er über dem Höhlentor neben dem Geierbalg befestigt. Nur die mächtigen Eckzähne hatte er ihm ausgebrochen und durchlöchert; nun trug er sie an einerDarmsaite um den Hals. Das Fleisch hängte er in die Räucherkammer; die meisten Knochen aber kamen ins Allerlei. Der Salzvorrat ging zur Neige. An einem frostklaren Morgen unternahm Peter den unaufschiebbaren Aufstieg zur Salzlecke des Steinwildes. In halber Bergeshöhe blieb er ausruhend stehen und sah in die Tiefe zurück. Ihm schien, als teilte das noch eisgesäumte Rinnsal des Klammbaches den Talgrund in zwei Reiche: links, soweit der blaue Schatten der Grableiten reichte, glanzlos überreifte Nadelholzbestände und das Steinfeld mit seinen reifüberhauchten fahlen Gräsern, Disteln und Karden – rechts die besonnte, im ersten Grün prangende Heide, der Urwald und die knospenden Laubbestände unter der Südwand. Die flimmernde Talsohle stieg drüben zur Hochfläche des Moores an, hinter dem sich das glänzende Grau des Glimmerschiefers scharf von aufgelagerten, rot und weiß leuchtenden Marmorschichten abhob. Und fern über den Klammwänden ragten eisgekrönte Berggipfel in den hellblauen Himmel hinein, jene Gipfel, an denen die Höhlenmenschen das Weiterrücken der Sonne abschätzten: gegen Mittag das Winterhorn, im Abendrot die Henne und gegen Mitternacht der Sommerspitz.
Ein sonderbares Knattern von der Salzlecke herüber ließ Peter zusammenzucken. Dort fochten zwei Steinböcke ungeachtet des schmalen Standplatzes einen Zweikampf aus, der damit endete, daß eines der Tiere kopfüber die steile Wand hinabstürzte. Beim ersten Geräusch, das Peter mit
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