Im Reich des Wolfes
gestoßen«, sagte Glendrin und setzte sich an den Tisch. »Aber ich wette, er hat die Hälfte davon gegessen.«
»Du hat Mehl im Bart«, sagte Ekodas. »Das macht dich älter, als du bist.«
Glendrin grinste und rieb sich den roten, dreifach gegabelten Bart. »Glaubst du, die Frau wurde uns geschickt?« fragte er.
Ekodas zuckte die Achseln. »Wenn ja, dann nur, um mich im Traum zu verfolgen«, antwortete er.
Glendrin kicherte. »Du brauchst die zehn Fürbitten, die Merlon die versprochen hat«, sagte er und drohte seinem Freund mit dem Zeigefinger. »Fleischliche Gedanken sind eine Sünde.«
»Wie gehst du damit um?« fragte Ekodas.
Glendrins Lächeln schwand. »Gar nicht«, gestand er. »Laß uns weitermachen.«
Gemeinsam bereiteten sie den Käse vor, holten frisches Wasser vom Brunnen und trugen die Mahlzeit in den Speisesaal, wo sie den Tisch mit Tellern und Besteck, Bechern und Krügen deckten.
Dann stellte Ekodas ein Tablett mit Brot und Käse für Shia zusammen und spürte seine Aufregung bei der Aussicht, sie wiederzusehen. »Ich kann den Apfelsaft nicht finden«, sagte er zu Glendrin.
»Wir haben ihn gestern ausgetrunken.«
»Aber ich habe ihr einen Krug versprochen.«
Glendrin schüttelte den Kopf. »Dann wird sie dich wohl für den Rest deines Lebens hassen«, sagte der rothaarige Priester.
»Dummkopf!« schalt Ekodas und stellte einen Krug mit Wasser sowie einen Becher auf das Tablett.
»Bleib nicht zu lange bei ihr«, riet Glendrin.
Ekodas antwortete nicht. Er verließ die Wärme der Küche und stieg durch das kalte steinerne Stiegenhaus nach oben zu Shias Zimmer. Er balancierte das Tablett auf dem linken Arm und öffnete die Tür. Die Nadirfrau schlief auf dem Fußboden vor dem erloschenen Feuer. Der Kopf ruhte auf ihren Ellbogen, die Beine hatte sie angezogen. Sie war in die letzten Strahlen des Mondscheins getaucht.
»Guten Morgen«, sagte Ekodas. Sie stöhnte leise, reckte sich und setzte sich auf. Ihr Haar war jetzt offen und hing dunkel und glänzend bis auf die Schultern. »Ich habe dein Frühstück gebracht.«
»Hast du von mir geträumt?« fragte sie, die Stimme noch belegt vom Schlaf.
»Wir haben keinen Apfelsaft mehr«, sagte er. »Aber das Wasser ist frisch und kalt.«
»Waren es schöne Träume, Betbruder?«
»So sollst du nicht mit einem Priester sprechen«, tadelte er sie.
Sie lachte ihn aus, und er wurde rot. »Ihr kol-isha seid seltsame Leute.« Sie stand geschmeidig auf, ging zum Bett und setzte sich mit gekreuzten Beinen darauf. Sie nahm das Brot, brach ein Stück ab und probierte. »Zu wenig Salz«, sagte sie. Er goß ihr einen Becher Wasser ein und reichte ihn ihr. Als sie danach griff, strichen ihre Finger über seine Haut. »Weiche Hände«, flüsterte sie. »Weiche Haut. Wie ein Kind.« Dann nahm sie den Becher und trank einen Schluck.
»Warum bist du hergekommen?« fragte er.
»Du hast mich hergebracht«, antwortete sie, tauchte ihren Finger in die Butterschale und leckte ihn ab.
»Wurdest du geschickt?«
»Ja. Von meinem Schamanen, Kesa Khan. Um meinen Bruder nach Hause zu holen. Aber das weiß du ja.«
»Ja. Ich hatte nur überlegt...«
»Was überlegt?«
»Ach, ist egal. Laß dir dein Frühstück schmecken. Der Abt will dich noch sehen, ehe du gehst. Er wird dir sagen, wo du Belash findest.«
»Wir haben noch Zeit, Betbruder«, flüsterte sie und griff nach seiner Hand. Er riß sie zurück.
»Bitte sprich nicht so«, bat er. »Ich finde dich ... sehr beunruhigend.«
»Du begehrst mich.« Es war eine Feststellung, begleitet von einem Lächeln.
Ekodas schloß für einen Moment die Augen im Bemühen, seine Gedanken zu sammeln. »Ja. Aber das an sich ist noch keine Sünde, glaube ich.«
»Sünde?«
»Wenn man etwas Falsches tut... wie ein Verbrechen.«
»Wie wenn man das Pony seines Bruders stiehlt?« fragte sie.
»Ja, genau. Das wäre eine Sünde. Genaugenommen ist jeder Diebstahl oder jede Lüge oder boshafte Tat eine Sünde.«
Sie nickte langsam. »Warum ist dann Liebemachen eine Sünde? Wo ist da der Diebstahl? Die Lüge? Oder die Bosheit?«
»Es sind ja nicht nur diese Taten«, sagte er stockend. »Dazu gehört auch, wenn man Regeln bricht oder Schwüre. Jeder von uns hier hat der QUELLE ein Versprechen gegeben. Es würde bedeuten, das Versprechen zu brechen.«
»Hat dein Gott dich gebeten, dieses Versprechen zu machen?«
»Nein, aber ...«
»Wer dann?«
Ekodas breitete die Hände aus. »Es gehört zu unserer Tradition. Verstehst du?
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