Im Schatten der Blutrose - Vampir-Roman (German Edition)
hatte die neuen, wesentlich größeren Flügel gespürt
und hatte gemerkt, dass ich neue Kleider bekommen hatte. Ich hatte so eine Art
Verwandlung vollzogen, nur aus dem Wunsch heraus, endlich die Fehde beenden zu
können, die Vampire und ihre Jäger schon vor so langer Zeit begonnen hatten und
die uns nun in diese vertrackte Situation gezwungen hatte. Ich wollte sie nicht
töten, meine Wut richtete sich im Prinzip nur gegen den Albino, der uns – mich
wie auch die anderen Engel – wie Gegenstände behandelt hatte, uns erschaffen hatte. Aber ich musste. Ich sah in ihren Augen, dass sie von der Sicht, die
ihnen zweifelsohne durch die Gemeinschaft der Blutrose eingeimpft worden war,
niemals abweichen und weiter Vampire jagen würden, selbst, wenn ihr Meister
nicht mehr sein würde. Ich hatte die neue Kraft in meinen Venen gespürt und auf
ihren ganzen Umfang zurückgegriffen, als ich die Engel von ihrem Dasein als
Marionetten des Hasses der Vampirjäger befreit hatte, und hatte gleichzeitig
bemerkt, wie mich die Kraft verzehrte. Sie füllte mich zwar aus, saugte mich
aber gleichzeitig auch aus, bereitete mir unterschwellige Schmerzen und ließ
mich an meiner Entscheidung, die unwiderruflich war, zweifeln. Als es beendet
war, holten mich die Schmerzen ein. Mein ganzer Körper, aber vor allem mein
Rücken brannte wie Feuer. Ich hatte keine Kraft mehr, wollte lieber wieder
Boden unter meinen Füßen haben, damit ich im schlimmsten Fall nicht zu tief
fallen konnte. Kurz nachdem meine Füße das Gras berührten, ging ich auch schon
in die Knie, unter der Last der Schmerzen und auch meiner Tat nachgebend. Ich
hörte verschleiert, wie Ayden mit dem Albino sprach und doch erschien es mir
nichtig. Bis auf einen Satz: Sie kann nicht beides sein. Seitdem war ich
hier in meinem ruhigen, wunderbaren Unterbewusstsein. Ich wusste, dass Ayden
darauf wartete, dass ich wieder erwachte, doch ich hatte Angst vor den
Schmerzen, die mich wünschen ließen, ich würde sterben. Alles, was ich zuvor
hatte ertragen müssen, war nichts im Vergleich zu ihnen.
Sie kann nicht beides sein.
Mir wurde nicht die Möglichkeit gelassen, mich für
eins von beiden zu entscheiden. Seit meiner Geburt war ich ein Engel, mein
Erbgut hat dieses Schicksal für mich bereits bestimmt, und ein Vampir wurde
ich, weil Ayden mir das Leben retten wollte. Seine Beweggründe waren rein, das
Ergebnis könnte sie nicht mehr verhöhnen. In seinem Wunsch, mein Leben zu
retten, hat er es nur verlängert, aber nicht komplett gerettet, wenn ich die
Bruchstücke der Unterhaltung zwischen ihm und dem Albino richtig verstanden
hatte.
Sie kann nicht beides sein.
Ich sah mich um. Ich kannte diesen Ort. Natürlich war
er mir vertraut, es war immerhin mein Unterbewusstsein. Aber etwas fehlte nach
wie vor. Ich war allein. Ich wollte etwas sagen und doch wusste ich nicht was.
Ich wollte irgendwohin laufen, aber ich wusste nicht wohin. Es gab kein
erstrebenswertes Ziel in der Schwärze und dem Nichts meines Unterbewusstseins.
„Ich bin entzückt“, ertönte es etwas verzerrt hinter
mir und ich wirbelte aufgeregt herum. Ein weißer Streifen flimmerte dort, wo
ich hinstarrte. Mal stärker, dann wieder schwächer, bis er sich schließlich
stabilisierte und langsam der weiße Wolf mit den strahlend weißen Flügeln auf
mich zutapste.
„Wo warst du?“, wollte ich nicht ganz ohne Vorwurf
wissen.
„Ich hatte eigentlich eine freudigere Begrüßung
erwartet, wenn man bedenkt, dass dein Vampirfreund mich von dir abgeschnitten
hat“, gab der Weiße zurück und blieb dicht vor mir stehen, sodass ich nur eine
Hand leicht heben und strecken musste, um ihn zu berühren. Unter normalen
Umständen hätte ich das auch als Erstes getan, aber seine Worte haben mich
abgelenkt. „Wie meinst du das? ‚Abgeschnitten‘?“, fragte ich vorsichtig.
„So, wie ich es sage“, antwortete der Wolf und ließ
sich auf dem schwarzen, glatten Boden nieder, sodass er ein bisschen zu mir
aufsehen musste. Ich blickte ihn verständnislos an. „Als Ayden – so hieß er
doch? – dir sein Blut einflößte, wurdest du mit dem Vampirismus angesteckt. In
einer Metapher gesprochen, hat mich dieser umgebracht, deswegen kam ich nicht
mehr zu dir. Ich bin ein Teil des reinen Engels in dir, das schließt also dein
Vampir-Dasein aus. Ich kann nicht mit dir in Kontakt treten, wenn du ein Vampir
bist.“
„Aber ... das bin ich doch jetzt immer noch“,
erwiderte ich ein wenig verwirrt. Genau in diesem Moment
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