Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
Nikolaus – vor einer Frau hatte er noch nie über seine Studien gesprochen. Sonst unterhielt er sich nur mit Männern, denn schließlich waren an den Universitäten Frauen nicht zugelassen. Warum eigentlich nicht? Er hatte es vergessen.
Damit die beiden nicht zufälligerweise Wilhelm oder jemand anders von der Burg in die Arme liefen, machten sie einen kleinen Umweg um die Niederburg und den kleinen Ort Niedermanderscheid herum. Humpelnd quälte sich Christina auf kleinen Trampelpfaden durch den Wald. Durch die Bäume konnte man ab und zu einen kurzen Blick auf die stolze Befestigung und die mächtig aufragenden Bauten erhaschen.
Sie verließen den Wald ein Stück unterhalb der Mühle und gingen zusammen die Lieser hinauf. Noch immer stützte Nikolaus die junge Frau. Wenn sie ihn gefragt hätte, hätte er sie bis ans Ende der Welt begleitet. Doch das Ende sollte diesmal die Mühle sein.
Noch bevor die beiden jungen Leute etwas sagen konnten, stürmte ein Mann Ende vierzig auf sie zu. Er trug eine helle Mütze und eine grobe Schürze und war von oben bis unten weiß eingepudert. Das konnte nur der Müller sein.
»Was ist passiert?« Er klang gehetzt und ärgerlich.
Nikolaus wollte antworten, aber noch ehe er den Mund öffnen konnte, fuhr der Müller ihn an: »Was habt Ihr mit meiner Tochter gemacht?«
»Nichts.«
»Lügt nicht!«, knurrte er. »Ich seh´ doch, wie sie humpelt.« Und mit diesen Worten riss er Christina am Handgelenk zu sich herüber, sodass sie fast zu Boden gestürzt wäre. Nun stand sie zwischen den beiden Männern, die sie an je einem Arm gepackt hielten.
»Vater!«, schrie sie entsetzt. »Du tust mir weh!«
»Was hat dir der Bursche angetan? Sag schon!«
»Nichts! Im Gegenteil, er hat mir geholfen.«
Der Müller hielt in seiner Rage inne und blickte ungläubig zwischen dem Fremden und seiner Tochter hin und her.
»Spar dir deine Wut für jemand anders«, warf sie ihm entgegen. »Wilhelm war´s natürlich. Er hat mich überfallen. Zum Glück konnte ich mich wehren. Und Nikolaus hat mich dann hierher begleitet.«
Kopfschüttelnd ließ Reginus seine Tochter los. Mit zitternden Händen schob er seine Mütze in den Nacken und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Nikolaus trat vor: »Werter Herr, ich bin gerne bereit, mit dem Herrn von Manderscheid zu sprechen. Ich kenne seinen älteren Sohn Ulrich aus Köln. Ich könnte sicherlich ein paar dezente Hinweise geben, damit Eure Tochter nicht weiter belästigt wird.«
Der Müller ballte die Fäuste. »Mischt Euch nicht in Angelegenheiten ein, die Euch nichts angehen. Verschwindet! Oder ich hole die Wachen von der Burg.«
Nikolaus prallte erschrocken zurück. »Aber, es ist doch …«
»Kümmert Euch um Euren eigenen Dreck!«, unterbrach der Müller den jungen Mann. »Das bekommen wir auch alleine hin.«
Christina zischte dazwischen: »Vater! Willst du wirklich, dass mich Wilhelm entehrt?«
»Du weißt nicht, wovon du da redest!«
»Eher bringe ich mich um oder ihn! Willst du das?«
Unsanft riss er seine Tochter am Oberarm herum. »Gespräch beendet. Du gehst sofort auf dein Zimmer!«, herrschte er sie an und schob sie vor sich her in die Mühle.
Draußen blieb Nikolaus mit offenem Mund zurück und verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte ein Vater sich so über das Leid seiner Tochter hinwegsetzen? Hatte er denn gar kein Mitleid mit seinem eigenen Kind? Nahm er lieber die Schändung seiner Tochter in Kauf, als sich zu wehren? Dabei hätte er es ja noch nicht einmal selbst tun müssen, Nikolaus hätte seinen Kopf dafür hingehalten.
Aus dem Haus vernahm Nikolaus einen lauten Wortwechsel zwischen Vater und Tochter, und auch wenn er nur einzelne Wortfetzen verstand, so war doch so viel zumindest klar: Der Ton in dieser Familie war alles andere als liebenswürdig, die beiden lagen sich mit Sicherheit nicht zum ersten Mal in den Haaren. Wo war die Frau des Müllers? Hätte sie nicht schlichtend eingreifen können? Zwischen ihrem Mann und ihrer Tochter vermitteln können? Christina war unschuldig, sie war es, die überfallen worden war. Dass sie jetzt auch noch so von ihrem Vater angegangen wurde, war eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!
Erst als nur noch das Plätschern des Flusses und das Knarren des Mühlwerks zu hören waren, wurde sich Nikolaus bewusst, dass er noch immer wie angewachsen vor der Tür stand, durch die schon vor geraumer Zeit Christina verschwunden war. Wie betäubt verließ er seinen Platz und ging das Tal
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