Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
uns und wir benötigen ihr Gold nicht. Diesmal werden wir die Piraten gefangen nehmen. Der Kapitän wird uns lehren, wie das Schiff zu handhaben ist.«
»Das ist doch völlig ... närrisch!«
»Das, Große Lysa, ist unsere letzte Chance.«
»Große Lysa?«
Mutter Evany nickte.
»Da mache ich nicht mit! Und ich will so nicht genannt werden!«
Mutter Evany seufzte. »Vor einer Stunde starb Rodetto, der dir seit zwei Jahren schöne Augen machte und auf deinen Wink wartete.«
Lysa sperrte den Mund auf. »Warum ... warum hat mir niemand etwas davon gesagt?«
»Es ist nicht deine Aufgabe, den Tod zu verwalten. Es ist deine Aufgabe, ihn zu verhindern.«
Lysa brach in Tränen aus. Liebe Güte, Rodetto war tot. Sie selbst hatte einen Bogen von ihm bekommen, einen mit wunderschönen Schnitzereien, heimliche Liebesschwüre in einer alten Sprache. Sie hatte gelacht und getan, als interessiere es sie nicht und er war rot geworden wie eine Rosenblüte. Und nun war er tot und sie hatte keine Gelegenheit bekommen, sich von ihm zu verabschieden. Das war nicht richtig. Das war grausam.
»Das Leben ist ein Irrlicht, der Windstoß der Tod. Zum Schluss hatte Rodetto gelernt zu sterben. Er klagte nicht. Er war ein tapferer Mann.«
»Warum sagst du so etwas?«, weinte Lysa.
»Das weißt du.«
»Du hättest mich rufen müssen. Jeder hier weiß, wie ich zu Rodetto stand.«
»Tatsächlich?«, fragte Mutter Evany. »Ist es nicht vielmehr so, dass du dich auf seine Kosten lustig machtest?«
»Er ist tot und das schmerzt.«
»Dann verhindere weitere Todesfälle. Bringe uns ein Drachenei. Wir wissen, wo es sein könnte. Gehe und rette dein Volk!«
Es dauerte Stunden, bis Lysas Tränen getrocknet waren. Warum hatte sie Rodetto nicht gewählt? Warum hatte sie so lange gewartet? Warum war sie so überheblich gewesen? Sie erinnerte sich, dass ihre Freundinnen sie verlacht hatten, weil sie ihn nicht zu sich rief. Einen wie Rodetto lehnte man nicht ab. Und sie hatte das stolze Kinn gereckt und gesagt, er solle warten. Damit er wisse, was er für sie empfinde.
Nun war er von ihr gegangen, ohne dass sie seine Lippen gespürt hatte, seine sensiblen Hände, ohne dass sie ihn geatmet hatte. Selbst wenn er dann gestorben wäre, hätte er ihr vielleicht eine Tochter gelassen oder einen Sohn.
Sie war voller Trauer und Zorn.
Zwei Tage später führte sie den Überfall auf das Piratenschiff an. Ihr Blick war düster, ihre Mundwinkel wiesen gen Süden. Sogar der Sonnenschein rang ihr kein Lachen ab. Das erstemal wurde sie Große Lysa genannt und es gefiel ihr. In ihrem Inneren schoben sich Dinge zusammen, die nie zueinander gehört hatten, verhakten sich und veränderten sie.
Die bärtigen Männer ankerten ihr Schiff in einer vorgelagerten Bucht. Sie setzten mit einer Schaluppe über und betraten den Strand. Einer von ihnen gab Befehle. Er sah wild aus. Sein Haar war schulterlang, der Bart reichte ihm bis zur Brust. Er trug ein Stirnband und eine schwarze Jacke. Seine blauen Hosen waren dreiviertellang und ausgefranst. In seinem breiten Gürtel steckten ein Breitschwert und eine Pistole. Vermutlich der Kapitän, nahm Lysa an, denn die anderen Piraten kuschten vor ihm.
Sie schleppten eine Kiste auf den Strand.
Von hier aus segelten die Piraten für gewöhnlich weiter nach Süden, um Schiffe oder kleinere Dörfer zu überfallen. Dann kamen sie nach einer gewissen Zeit zurück und sammelten alle Schätze wieder ein.
Das war klug.
Es gab Piraten, schrieb man, die stets alle Schätze an Bord bei sich führten. Gab es ein Unglück und das Schiff sank, konnten sich manche Piraten retten, die Schätze jedoch waren verloren.
Bisher hatte die Amazonen dies gebilligt, denn es lag nicht in ihrer Natur, sich in die Geschicke anderer Völker einzumischen. Die Piraten wussten von Amazonien, doch sie fürchteten offensichtlich die Kampfkraft der Frauen, denn noch nie gab es auch nur den Versuch eines Überfalls.
Entsprechend überrascht waren sie, als über der Bergreihe fünfzig Amazonen hochschnellten.
Als die Piraten die Reihen auf sie gerichteter Bögen wahrnahmen, wussten sie, dass sie verloren hatten. Dennoch wehrten sie sich.
Pfeile sirrten. Säbel und Schwerter klirrten und nach weniger als fünfzehn Minuten war der Spuk vorbei. Im Sand lagen vier tote Piraten, nur der Kapitän war unbeschadet.
Der Schoner gehörte den Amazonen.
Lysa hatte ein schlechtes Gewissen. Was, wenn die Piraten sich ansteckten? Sie beruhigte sich damit, dass
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