Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
verstehen, stimmts?«
Bob blinzelte träge. »Ja, ja – das wollte ich.«
»Dann möchte ich den heutigen Abend nutzen, um euch meine Geschichte zu berichten oder ist jemand zu müde?«
Sie verneinten, füllten die Gläser und lehnten sich zurück.
Etwa sechshundert Meilen südlich von Dandoria liegt Amazonien. Umgeben von Regenwald, durch den der Thermon, ein fischreicher Fluss läuft, lebte dort das Volk der Amazonen. Die sich nach Westen erhebenden Berge schützten sie gegen Angriffe, die vom Südmeer kommen konnten oder durch den Dschungel, durch den ein Angriff ein schwachsinniges Unterfangen für all jene darstellte, die hier nicht lebten. Solchermaßen von Natur eingekreist pflegten sie längs des Flusses ihre Behausungen zu bauen, schöne weiße Gebäude, die zwar klein waren, doch hübsch anzuschauen.
Es war ein typischer Morgen in Amazonien. Nachtregen tropfte von den Blättern und die Sonne stahl sich hinter den Bäumen hervor und malte bunte Tupfer auf Gras und Stein.
Lysa trat aus ihrem Haus und genoss den Duft der erwachenden Natur. Vögel aller Art, prächtig gefärbt und laut, flogen über den Baumkronen oder fütterten ihre Jungen. Schmetterlinge kreisten und wirbelten über den Majoribüschen, deren gelbe Blüten demnächst geerntet würden. Man extrahierte ihr Öl und mischte es in den Talg, aus dem die Männer Seife machten.
Lysa ging zur Koppel, in der mehrere Tronser grasten. Sie lehnte sich auf das Gatter. Diese Tiere wurden seit Gedenken von den Amazonen gezüchtet und domestiziert. Es waren die idealen Reittiere, nicht so hoch wie Pferde, mit breiten Rücken, auf denen man bequem saß. Ihre kantigen Schädel sahen beeindruckend aus, denn sie waren mit kleinen Hörnern bestückt, die an Drachen erinnerten. Der lange kräftige Schwanz wischte über den Boden wie der eines Salamanders, wenn sie liefen bogen sie ihn hoch und die Reiterin konnte sich anlehnen. Wer an Pferde gewöhnt war, fand den Anblick bizarr, doch das störte die Amazonen nicht.
Sie alleine wussten, was sie an ihren Tronsern hatten. Treue Wesen, die tagelang ohne Wasser und Futter auskamen. Jede Amazone bekam ein Tronsterbaby zugeteilt, sobald ihre Fraulichkeit einsetzte. Von da an kümmerten sie sich rührend um die drolligen Tiere, die schnell wuchsen.
Wygu kam zu ihr und grunzte erfreut. Seine langen Hauer wippten auf und ab, sein Schwanz wedelte durch den Staub. Lysa strich ihm zärtlich über das Maul.
»Vielleicht reiten wir heute ins Hinterland, mein Guter«, sagte sie.
Wygu schnaufte und seine runden Augen glänzten.
Lysa liebte es, durch die Ansiedlung zu spazieren. Das klärte ihren Verstand und verscheuchte düstere Träume, von denen sie in letzter Zeit viel zu viele hatte. Sie träumte von Tod und Feuer.
Erst gestern Nacht war sie zitternd und verschwitzt aufgewacht, weil glitschige Finger sie in eine Traumwelt gezogen hatten, wie sie schrecklicher nicht sein konnte. Es schien, als deuteten die Träume auf eine Veränderung hin, doch genau wusste sie das nicht. Sie würde darüber mit Mutter Evany sprechen müssen.
Einen schmalen Weg hinab kam sie zum Lerntempel. Dort fanden sich junge Mädchen ein. Im Lerntempel vermittelten weise Erzieherinnen, was es bedeutete, eine Amazone zu sein.
Zunächst ging es um die Mythen, die sich um ihr Volk rankten. Sie sprachen mit ihren Schülerinnen darüber, es habe vor langer Zeit Amazonenvölker gegeben, die über ganz Mythenland verstreut gewesen waren. Sie berichteten von Reitervölkern, Frauen, die Pferde ritten und die Innenlande unsicher machten. Viele Mythen stützten sich auf die Papiere des Blinden Magisters Nordengrol, die unwahr waren, jedoch bei den Mythländern nicht angezweifelt wurden.
Nordengrol hatte aus unbekannten Gründen die Amazonen gehasst und dieses Gefühl durchzog seine Geschichtsschreibung – vielleicht hasste er einfach nur Frauen. Niemand wusste es. Von grausamen Menschenopfern war die Rede, davon, dass Amazonenstämme ganze Städte unterwarfen und alle Männer töteten, deren sie habhaft wurden. Von düsteren Riten schrieb der Blinde Magister, wozu das Abbrennen der rechten Mädchenbrust gehörte, was selbstverständlich Unsinn war. Richtig war, dass die Bogenkämpferinnen einen Lederschutz über der Brust trugen, was einem oberflächlichen Beobachter vermuten lassen konnte, sie seien einbrüstig. Es ging um den Schutz des weiblichen Körpers, nicht um Grausamkeit.
Es wurde von Amazonenstämmen berichtet, die sich den
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