Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
es sich um gesuchte Verbrecher handelte, die ohne Rücksicht töteten. Grausame Männer, die soffen und plünderten. Damit war die Sache abgetan und erneut wurde ihr hart ums Herz.
In den nächsten Wochen lernte Lysa, ein Schiff zu kommandieren. Sie lernte, wie man Fahrrinnen zwischen Riffs nutzte, begriff den farbigen Unterschied des Wassers und wie falsch es war, dunkelblau als tiefes Wasser, grünes als tieferes zu deuten, obwohl die grüne Farbe auch vom niedrig liegenden Seegras kommen konnte oder die blaue von der Farbe des aufgewirbelten Sandes. Sie lernte, wie man eine Lotleine handhabte, dass eine Fadentiefe sechs Fuß maß, dass Zeit nach Glasen berechnet wurde und nach einiger Zeit lernte sie das Knattern der Segel und die Spaziergänge in den Wanten lieben.
Ihr schwirrte der Kopf von den vielen fremdartigen Ausdrücken. Was bedeutete aufentern? Was war eine Back? Wo war der Unterschied zwischen einem Bramsegel und einer Bramstenge? Hatte das Grosstopp eine Bedeutung und was verbarg sich hinter dem Begriff Hellegat?
Und endlich lachte sie wieder. Ihre Wangen leuchteten, als der Wind in die Segel fuhr und als sie das Schiff auf eine Probefahrt aufs Meer führte, fühlte sie sich frei und ungebunden und die Erinnerung an Rodetto verließ sie wie eine dunkle Wolke, die sich nach einem Regen auflöst.
Zumindest für den Augenblick, und den genoss sie.
Der finstere Kapitän, er nannte sich Bluebink, brachte Lysa alles dies bei, obwohl er stets deutlich machte, das könne nicht gut gehen. Frauen seien nicht dafür geschaffen, ein Segelschiff zu führen. Er spuckte Rotze aufs Deck und erhielt von Lysa eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte. Die nächsten Stunden verbrachte er mit Eimer und Schrubber, bis die Planken glänzten und vor Sauberkeit strahlten.
Lysa blickte hin und wieder zum Strand.
Mutter Evany stand dort und ihre Augen blitzten voller Stolz und Hoffnung. Lysa wusste, dass man sie für begabt hielt, auch deshalb ließ sie nichts unversucht, um eine gute Schülerin zu sein.
Währenddessen steckten sich viele Piraten an und starben. Ihr Husten, ihr Stöhnen und schließlich der Tod erfüllten das Dorf mit düsteren Klängen.
Der Kapitän und sein Steuermann blieben gesund, vielleicht weil sie sich sehr oft, während gespannte Armbrüste auf sie gerichtet waren, mit Lysa an Bord aufhielten.
»Was geschieht, wenn du mit deiner Ausbildung fertig bist, Weib?«, knurrte Bluebink. Seine kleinen schwarzen Augen starrten hasserfüllt.
Lysa stemmte ihre Arme in die Hüften. »Was glaubst du?«
»Werdet ihr uns töten – falls uns nicht vorher die Seuche umbringt?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Nein, warum auch? Bisher kamen wir gut miteinander aus und das soll so bleiben.«
Der Kapitän lachte krächzend. »Deshalb habt ihr vier meiner Männer getötet?«
»Ihr hättet euch nicht wehren sollen.«
Er wollte ausspucken, hielt sich aber im letzten Moment zurück.
Am Abend beschloss Lysa, dies mit Mutter Evany zu besprechen.
»Wir können niemanden von ihnen laufen lassen!«, sagte Mutter Evany. »Sie tragen vielleicht die Seuche in sich. Entweder sie bleiben bei uns und überleben oder sie sterben. Die Überlebenden werden sich unterwerfen oder sterben. Sie werden sich rasieren und waschen, sie werden zur Gottmutter beten oder sterben. Sie werden sich unseren Regeln anpassen. Sie haben keine andere Wahl.«
»Und die Schätze in den Höhlen?«, wollte Lysa wissen.
»Wir nehmen davon, was wir benötigen, um dem Schiff einen anderen Anstrich zu verpassen. Man soll es nicht wiedererkennen.«
»Fürchtest du nicht, dass die Piraten sich an uns rächen?« wollte Lysa wissen.
»Nein. Wir haben sie entwaffnet. Außerdem haben sie genug damit zu tun, sich vor der Seuche zu fürchten.«
Man schickte zwei Amazonen nach Dandoria. Sie ritten auf ihren flinken Tronsern und ehe eine Woche vergangen war, kamen sie mit weißer Farbe zurück.
Es gab eine Menge Flüche und nicht wenige Piraten versuchten sich, der Arbeit zu entziehen, doch Lysa war erbarmungslos. Sie hatte gelernt, dass man ein Schiff nur befehligen konnte, wenn man eisenharte Disziplin verlangte und durchsetzte. Nachdem der erste Pirat ausgepeitscht worden war, beugte man sich ihren Wünschen. In nur zwei Tagen hatten die Piraten dem Schoner einen neuen Anstrich verpasst.
Das schlanke Schiff strahlte weiß und edel. Es erhielt einen neuen Namen. Die Unterdecks waren gereinigt und gelüftet, im Lagerraum lagerte ausreichend Proviant für
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