Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
fürchterlich kompliziert. Ich möchte es gerne erklären.«
Die Menge musste seine Worte vernommen haben, denn sie seufzte kollektiv. Einige Mütter hielten ihren Kindern die Augen zu, indem sie die kleinen Köpfe an ihre Röcke drückten. Bierkrüge wurden gereicht. Es war die übliche Zurschaustellung des Delinquenten, Momente vor dem letzten Gedanken, die ihn entwürdigten und bestraften.
Darius suchte den Henker, den Ratsmann, der den Tötungsbefehl gab, den Verleser, der das Urteil erklärte. Irgendetwas stimmte nicht. Lediglich der Henker stand neben ihm, die schwarz behandschuhten Finger auf dem Hebel, der die Klappe unter Darius’ Füßen öffnete.
»Träume ich?«, wisperte Darius und sah direkt in die kleinen Löcher der spitzen Henkerskapuze, in der weiße Augen glitzerten. »Ist das hier die Wirklichkeit?«
Der Henker rührte sich nicht.
Die Menge schwieg.
Auch Elvira war ruhig.
Es war, als warteten sie auf etwas.
Auf die Antwort?
Auf eine Erklärung?
Auf den trockenen Knall, den ein brechendes Genick verursachte?
»Bitte, ich brauche eine Antwort«, flehte Darius. Er versuchte, eine Geste zu machen, doch seine Hände waren hinter dem Rücken gebunden. »Sage mir, Henker – ist dies ein Traum?«
Der Henker rührte sich nicht. Seine Finger auf dem Hebel zuckten, er blinzelte hinter der Kapuze.
»Ich weiß, dass du nicht mit mir sprechen darfst...«, begehrte Darius auf und hasste sich dafür, dass seine Stimme einen winselnden Tonfall annahm. »Ich weiß es, verdammt noch mal. Was ist das hier? Wie komme ich hier hin? Wo, bei den Göttern, bin ich?«
Das Gefühl, durch tiefen Schlamm zu waten, das Bild, in einen unendlich langen, sich verengenden Korridor zu laufen, ohne von der Stelle zu kommen, die Empfindung, im Wasser zu atmen, ohne zu ertrinken, alle diese Sinneneindrücke machten ihn schier wahnsinnig. War das die vielbeschworene Furcht, die den Delinquenten vor der Exekution irrsinnig werden ließ? War die Panik vor dem Unentrinnbaren so schlimm, dass sich der Verstand verlor, regelrecht verschmorte, wie ein Apfel in einem Backofen?
»Elvira!«, hörte sich Darius schreien. »ELVIRA! Ich liebe dich! Bitte glaube mir!«
Plötzlich war sie hinter ihm.
Elviras Körper drückte sich an seinen Rücken und ihre heiße Wange schob sich an seine.
Ihr süßer Atem hauchte über seine Nase, als sie sagte: »Sieh hin, Darius. Mache die Augen auf und schau.«
Er sah und sein Herz machte einen Sprung.
Riousa. Ihre blonden Haare. Ihr freundliches Gesicht.
Darius beugte sich zu ihr hinunter und liebkoste die weichen Wangen. Sie schlang ihre Ärmchen um seinen Hals und kicherte, weil seine kratzige Wange sie kitzelte.
Er liebte sie über alles.
Für sie würde er sterben.
Nichts und niemand sollte ihr etwas zuleide tun.
Unvermittelt lief sie Richtung Wasser.
Und der Dämon sprang ihr hinterher.
Nicht ins Wasser! Bitte nicht ins Wasser!
Der Dämon schnappte nach ihr, sie wich geschickt aus und das Wasser schlug über ihr zusammen. Der Dämon griff zu und fing sie ein. Es war, als versuche ein Riese, eine Taube zu streicheln. Unter seinen Klauen brachen Knochen.
Und der Dämon sah ein letztes Mal diese wunderschönen grünen Kinderaugen, diesen Unglauben darin, dass Papa sie im Stich ließ.
»Nun siehst du, dass ich die Wahrheit sagte ...«, flüsterte Darius erschüttert. »Nun hast du es miterlebt.«
»Welche Wahrheit?«, fragte Elvira mit schneidendsanfter Stimme. »Ich bin nicht hier, um mich wieder von dir belügen zu lassen, Kindsmörder. Ich sagte, du sollst hinschauen ...«
»Das tue ich doch«, murmelte Darius.
»Hierhin!«
Er folgte ihrer Stimme, sah ihre Hand die des Henkers wegstoßen, spürte, dass sie einen Schritt zurück trat, beobachtete mit kristalliner Klarheit, wie sie den Hebel zu sich zog - dann war alles still.
5. Kapitel
König Rondrick von Dandoria aus dem Hause der Mittländer, Sohn von Gregor, dem Redlichen, dem ehemaligen Erzkönig von Mythenland, ließ sich eine Schale mit Wasser bringen.
Er neigte den Kopf zurück und bot dem Barbier seine Wangen und den Hals dar. Er fragte sich, ob er dies riskieren konnte, schließlich arbeitete Mor´t mit einer scharfen Schneide. Andererseits hatte Mor’t schon seinem Vater den Bart rasiert und war stets ein Getreuer gewesen.
Rondrick schloss seine Augen und ließ die Ereignisse des gestrigen Abends Revue passieren. Er hatte Glück gehabt, auch wenn ihn bei diesem Gedanken ein
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