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Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)

Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)

Titel: Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Sah er die Zukunft, die Vergangenheit und die Gegenwart gleichzeitig? Nein, so kam es ihm nicht vor.
    Er erinnerte sich an ein kleines Mädchen und daran, wie sehr er versucht hatte, sie vor dem ertrinken zu retten. Nur ein Bild, eine Momentaufnahme, die rasch verging.
    Er atmete den Duft der Nadelbäume, den Duft des Schnees und den Wind, der über das Tal in die Berge zog. Hier fühlte er sich wohl, hier wollte er bleiben, wenn es sein musste wollte er sich an einen Fels lehnen und schlafen. Schlafen wie ein Riese, Jahrhunderte lang. Wenn er erwachte, würde sich Mythenland verändert haben, doch die Natur wäre geblieben wie sie war. Verlässlich und stabil.
    Er trommelte auf seine Brust, aus seinen Augen schossen rote Strahlen, die den Schnee zum schmelzen brachten und aus seinem Maul quälte sich ein donnernder Schrei ...
    Und Darius erwachte schreiend.
    Bevor er erneut in Träume fiel.
    War es die Folter, die ihn dazu brachte? Was geschah mit ihm?
    Er sprang durch Traumbilder wie ein gehetztes Kaninchen über Hügel und Büsche.
    Er war gleichzeitig in der Zukunft und in der Vergangenheit. Er schnellte durch die Zeit wie ein Blitz, sah, registrierte kaum und huschte wieder woanders hin. Nirgendwo konnte er sich festhalten, Ruhe finden. Er sah seine Tochter und Elvira als alte Frauen, erblickte Fabelwesen, die an Fels gekettet waren, sah einen dunkelhäutigen Elf über Schlachtfelder schreiten, die Füße bis zu den Knöcheln in Blut.
    Er blickte durch die Augen einer Katze, die ihr Opfer im Blick hat und schmeckte das frische Blut, als sie ihre Zähne in den Vogel schlug.
    Sein Traum fiel in sich zusammen wie eine Mauer.
    Durch Staub und Sand sah er, was vorging. Er erwachte und mit Erschütterung blickte er auf eine Menschenmenge, die ihn atemlos anstarrte.
    »Er hat Angst!«, riefen einige.
    Andere wichen zurück und manche schützten ihre Augen mit den Handflächen vor der aufgehenden Sonne.
    Liebe Güte, wie war er hierhin gekommen? Er verschluckte den Rest seines Traumes und presste die Lippen aufeinander. Er brauchte nur Sekunden, um zu erkennen, dass er unter einem Galgen stand, er, der Mensch Darius Darken, das Seil um den Hals gelegt, welches schwer auf seinen Schultern ruhte. Ein dickes, stabiles Seil, nicht festgezurrt. Vor dem Holzpodest stand Elvira, die ihn unerschrocken ansah, während Tränen über ihre hübschen Wangen liefen. Ihre Lippen bewegten sich, doch Darius begriff nicht, was sie sagte. Es waren gewiss keine Liebesschwüre – oder doch? Glaubte sie ihm jetzt? Hatte sie ihre Meinung geändert? Würde sie ihn retten?
    »Mörder«, flüsterte sie, gerade so laut, dass Darius die Worte vernehmen konnte. »Gemeiner Mörder.«
    Darius, aus seinem Traum erwacht und in einem Alptraum gestrandet, schüttelte langsam und intensiv den Kopf.
    »Mörder«, formten Elviras Lippen jenes eine Wort, welches ihn trauriger machte, als alles, was geschehen war.
    Ein eisiger Blitz fuhr durch Darius. Es hatte eine Weile gedauert, bis jeder Winkel seines Gehirns die Gegenwart realisierte. Nun wusste er, was auf ihn zukam. Das große schwarze Nichts. Er war unschuldig verurteilt worden, ohne dass sich ein Richter die Mühe gemacht hatte, seine Verteidigung anzuhören. Er würde in wenigen Sekunden an einem Seil baumeln. Wenn er Glück hatte, würde es schnell gehen und sein Genick brach sofort. Verstand der Henker sein Handwerk? Darius, dem klar war, dass nichts ihn retten konnte, fügte sich, während kalter Schweiß über seinen Körper lief und sich seine Psyche, sein Überlebenswille gegen das Unvermeidliche sträubte. Er wollte leben, wollte leben!
    Doch war das Leben etwas wert, nachdem er seine kleine, seine liebste Riousa im Wasser des Singól verloren hatte? Was bot ihm das Leben, wenn Elvira ihn für einen Mörder hielt, obwohl sie es besser wissen sollte? Gab es ein menschenwürdiges Leben, wenn jederzeit zu befürchten stand, er könne sich in eine gigantische dämonische Gestalt verwandeln?
    Zumindest schienen die Folterknechte nicht bis zum Äußersten gegangen zu sein, denn er spürte kaum Schmerzen, was allerdings auch an der Situation liegen mochte.
    Wen interessierte schmerzende Gelenke, wenn man einen Strick um den Hals fühlte?
    Oder träumte er auch dies?
    Lag er noch immer auf der Streckbank und sein Geist wehrte sich gegen die Schmerzen, indem es ihm Trugbilder vorgaukelte?
    »Ich war es nicht ...«, krächzte er. »Und ich war es doch! Es war ein Unfall. Ich wollte es nicht. Das ist

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