Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
hatte. Welch ein Zufall, dass Sreidel ausgerechnet jetzt gestorben war.
Sie wischte die Bettdecke glatt und ihr Herz pochte stark, als sie den Schlafraum betrachtete. Zweifellos –etwas fehlte, aber dies war weniger bedeutend, als sie dachte. Sie wusste sehr gut, wie Trauer sich äußerte. Frauen weinten oder zeterten, Kerle soffen oder schluchzten. Nichts von alledem kam hier in Betracht. Sreidel war schlicht und einfach nicht mehr da – so, als sei er in eine Schenke gegangen, um nicht mehr wieder zu kehren. Und Mari spürte Erleichterung. Sie dankte dem Schicksal und ihre soeben noch geweinten Tränen kamen ihr befremdlich vor.
Morgen würde man Sreidel beerdigen.
Sie würde Protox bitten, einen kleinen Stein zu schlagen, damit man sich an Sreidels Namen erinnerte. Einen sehr kleinen und günstigen Stein.
Sie strich ihre glatten Haare zurück und streckte sich. Ihr Körper fühlte gut an unter dem Leinen, kraftvoll und voller Energie.
Erneut dachte sie an den Hünen, den man auf die Burg gebracht hatte. Für einen solchen Mann hatte die Götter sie geschaffen, nicht für einen, der nach Schnaps stank und gewalttätig war.
Die Sonne streckte schmale glühende Finger in den Raum und explodierte auf Splittern, die neben dem Waschtisch auf dem Boden lagen.
Was war das?
Sie bückte sich und zog erschrocken die Finger zurück. Ihr Zeigefinger blutete und sie lutschte ihn ab. Das waren unzweifelhaft die Überreste einer Phiole. Sie konnte sich nicht erinnern, so etwas besessen zu haben. Sie kannte diese Phiolen. Meist brachten Frauen sie mit, wenn sie zu Vira, der Hexe gegangen waren. Vira war eine Meisterin der Elixiere und eben in solchen Phiolen bewahrte sie ihre Tränke auf.
Mari blinzelte, als würden sich die Glassplitter auflösen und zu einem Traumbild verwehen. Doch nichts geschah. Wie kam dieses Behältnis in ihr Haus und warum lag es dort, als hätte es jemand hingeworfen?
Weil ich bei Vira gewesen bin!
Sie versuchte, diesen Gedanken sofort wieder zu verdrängen. Was, bei den Göttern, hätte sie bei Vira gewollt? Ihr Kopf fuhr herum und sie musterte das leere Bett.
Sreidel würde niemals zurückkehren, denn er war tot. An einem schwachen Herz gestorben. Aber ihr Mann war stark gewesen wie ein Bulle. Er hatte weder an Herzschmerzen gelitten noch an irgendeiner Schwäche, abgesehen der zum Alkohol.
Ich habe ihn vergiftet!
Diese Ungeheuerlichkeit schien Mari so befremdlich, dass sie anfing zu lachen. Spitze Kiekser drangen aus ihrer Kehle und erneut strömten Tränen. Ihr Körper zitterte und sie hatte eine Gänsehaut.
War das ein Traum?
Es konnte nicht anders sein!
Sie, Marielle, war keine Mörderin!
Andererseits – Sreidel war ein Unmensch gewesen und hatte den Tod mehrfach verdient. Es gab nur eine Lösung: Sie musste Vira aufsuchen und fragen, was geschehen war. Sie rannte hinaus, schlug die Tür hinter sich zu, hetzte durch den Wohnraum und stieß die Haustür auf. Die Sonne blendete sie einen Moment.
Sie zog die Tür hinter sich zu, wischte sich, ohne sich dessen bewusst zu sein, den immer noch blutenden Finger am Rock ab und starrte in die sich verjüngende Strasse hinunter. Sie war leer. Komplett leer.
Nein, nicht völlig.
Nur wenige Schritte entfernt standen zwei Personen.
Ein Zwerg und ein Mann.
Jener Mann, dem sie ihr Herz schenken würde. Und dieser Mann hatte ein Schwert gezückt, während der Zwerg neben ihm eine Axt wog.
Sie starrte die Beiden mit offenem Mund an.
Hinter ihr ertönte ein grausig klingender Laut. Ein dumpfer Ton, der klang, als würde ein Dämon seinen Zorn herausbrüllen.
Sie wirbelte herum und fing an zu schreien.
Dogdan war traurig.
So also empfing man ihn in dieser Welt? Alle flohen vor ihm, brüllten, kreischten, rannten weg. Warum? Er hatte nicht vor, jemandem Leid anzutun. Vielmehr wollte er, dass man ihn freundlich begrüßte. Er wusste, dass ihm noch viele Worte fehlten und war bereit, diese zu lernen.
Auf einer intuitiven Ebene erkannte er, dass er in der Lage war, zu lernen. Alles, was er bisher getan und erlebt hatte, hatte sich ihm erschlossen, indem er lernte. Sein Vater hatte ihm nur wenig Wissen mit auf den Weg gegeben.
Und Dogdan lernte stets schnell.
Wie man Wassertiere tötete.
Wie man Zweibeiner tötete.
Wie man alles tötete, was sich ihm in den Weg stellte. Aber er lernte auch, dass es so etwas wie Kommunikation geben musste. Sonst würde ja immerzu einer den anderen töten. Da dies nicht geschah, musste es für das
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