Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
Wächter, massig wie ein Bär mit einem Drachenschädel auf dem grotesk langgezogenen Hals, hatte die anwesenden Magister mit einem mehrfach gewirkten Kettenzauber an die Rückwand gefesselt, die Hände jedes Spielraums für einen Zauber beraubt.
»Nicht!«, rief Mandraeja.
Doch Agaldir hörte nicht.
Ohne zu zögern, stürmte der Halbling auf den doppelt so großen Dämon zu, holte aus und stieß ihm eine von Eiszauber erfüllte Lanze in den Rücken. Oder versuchte es zumindest. Doch statt, daß die Spitze in den schuppenbesetzten Körper drang, zersplitterte sie in tausendfache Schneekristalle.
Erst jetzt drehte sich der Dämon um, knurrte auf, präsentierte zähnebleckend die gebogenen Hauer und stieß einen alles durchdringenden schrillen Ruf aus.
»Flieh, Agaldir!«, rief Mandraeja erneut. »Auf dich hat er es nicht abgesehen.«
Nicht auf mich , wiederholte der Halbling, für einen Moment seines Elans beraubt, bevor die Erkenntnis ihm gegen die Brust schlug. Aber auf dich!
Von Panik und Hilflosigkeit gleichermaßen zerrissen, lief Agaldir im Kreis, suchte nach einer Möglichkeit, einem Zauber, der stark genug wäre. Sein Blick flog zu seinem Lehrer. Doch auch Vaadh, mit den anderen an die Wand geschweißt, schüttelte den Kopf.
»Das übersteigt dein Können, Agaldir.«
»Nein! Das lasse ich nicht zu! Ich werde nicht zusehen, wie du stirbst!« In wild aufwallendem Zorn stürmte der Halbling vor, schlug, stieß, zerrte an den eisigen Fesseln, während sich der Raum füllte.
Dutzende, hunderte, tausende Untote strömten durch die Tür, kletterten übereinander, stapelten sich zu Haufen, als Agaldir immer noch an den Ketten rüttelte.
Halt ein. Halt ein und sieh mich an , hauchte da die Stimme der Elfe in seinem Kopf. Dies ist mein Schicksal, aber deines liegt noch viele Jahre entfernt in einer Zeit, in der Schlimmeres die Welt bedroht. Geh! Geh, damit ich meine Kräfte für einen allerletzten Dienst zum Wohl der Seelen verschenken kann. Geh und finde deinen Weg, Agaldir On'tor. Mein Friede und Kuss der Glückseeligkeit sollen dich begleiten.
Aus tränenvollen Augen sah er sie an, spürte ihre zarte geistige Berührung und anschließend den sanften Druck, den sie ausübte, um ihn von sich zu schieben.
Und so ging er. Wälzte sich durch die untoten Leiber zum Ausgang und sah, daß der Gang mittlerweile leer war. Alle waren sie dem Ruf des Wächters gefolgt. Alle hatten sich im Ratsaal versammelt, bereit die Eine zu zerstören, die jemals für Agaldir wichtig gewesen war.
Ein letzter Blick, dann drehte er sich um und wankte betäubt von Schmerz, Hass und Wut hinaus, während hinter ihm der Raum von einer Schockwelle der Hingabe geflutet wurde.
Leiber und Knochen, die in einem einzigen exstatischen Seufzer aufgingen, brachen und zerbarsten zu Staub.
Selbst im Hof konnte man die darauf folgende Traurigkeit spüren. Magister und Schüler sanken auf die Knie, griffen sich an die Brust und weinten Tränen der vollkommenen Liebe.
Nur Agaldir hatte keinen Funken Gefühl mehr übrig. Und wusste doch nicht mal im Ansatz, was auch Mythenland in diesem Moment verloren hatte.
Aber auf Leere folgte neuerliche Wut und füllte die frei gewordenen Plätze aus, schenkte ihm eine neues Ziel und eine dunkle Entschlossenheit, die ihn über die gesunden Grenzen hinweg führte, hin zu dem, was einmal seine Bestimmung werden sollte.
Drei Tage und drei Nächte lang verbrachte Agaldir im Haus des Runenmaler, während seine Seele nur mehr mit einem dünnen Faden an seinen Körper gebunden blieb und seine Augen bereits fein säuberlich herausgeschält und in eine Kiste gesperrt im Regal standen. Stattdessen bekam Agaldir trübe Murmeln eingesetzt, die seine toten Augenhöhlen füllten, was ihn weniger schrecklich aussehen ließ.
Rune um Rune pauste der Alte Tedley Galandier mit äußerster Sorgfalt und Fingerspitzengefühl auf den Körper des Halblings. Kein Stöhnen konnte ihn aufhalten, kein Schrei ihn stoppen, denn so hatte ihn Agaldir angewiesen.
Drei Tage und Nächte, an denen nur der Alte und sein Sohn Marcos bei ihm blieben. Fürsorglich tupfte der Junge ihm die Stirn, band die Hände fester an den Tisch, wenn Agaldir zu fluchen und zu drohen begann und fütterte den Magier über den Widerstand hinweg, wenn es aus Tedleys Sicht Zeit für eine Stärkung wurde.
Drei Tage und Nächte in nie gekannter Dunkelheit. Ohne Augenlicht, ohne Orientierung, verloren in den eigenen Schatten des Geistes.
Am vierten Tag
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