Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
würde Frethmar Stonebrock, der Zwerg, sterben?
Er würde verhungern!
Das war kein ruhmreicher Tod. Er stellte sich vor, wie man irgendwann sein Skelett fand und sich fragte, welches Tier hier gestorben war. Das brachte ihn zum Weinen. Ein einsamer Tod war das Letzte, was er sich vorstellte. Vielmehr hatte er gehofft, irgendwann im Kreise seiner Familie im Bett zu sterben, während seine Söhne ruhmreiche Lieder über seine Heldentaten sangen und sein Weib heulte wie eine Sirene.
Ein weiterer Tag verging und Frethmar suchte nach Kakerlaken oder ähnlichem Getier. Er fand nichts, das Schiff war erstaunlich sauber. Typisch Weiber! Alles musste blitzen und blinken. So hatte er sich Amazonen nicht vorgestellt. Er hätte eher damit gerechnet, Töpfe voller Blut zu finden oder Leichen, die in Holzsärgen vor sich hin verwesten.
Er versuchte, seine Gedanken einzufangen, aber diese huschten davon wie Sommerwolken.
Ja, im Gras wollte er liegen. Seine Pfeife paffen und in den Himmel blicken. Vielleicht fiel ihm dabei ein Gedicht ein, vielleicht sogar eine Ode.
Er hatte die Orientierung längst verloren, als das Schiff aufhörte, sich zu bewegen. Ein Boot wurde ausgesetzt, Frauenstimmen erklangen, dann war alles ruhig. Über ihm liefen Amazonen Patrouille.
Er richtete sich auf und seine Sinne brannten. Hatte er jetzt die Möglichkeit, zu flüchten? Wo waren sie? Egal, wichtig war, dass er etwas essbares fand. Er würde seine Zähne ins Fleisch rammen, sogar begeistert auf einer Frucht kauen, den süßen Saft schmecken und endlich, endlich wieder satt sein. Außerdem war er so durstig, dass er an seinem Arm leckte, verwirrt darauf schaute und sich dämlich vorkam.
Er döste eine Weile und hätte fast einen Herzschlag gekriegt, als die Luke aufgerissen wurde und grelles Licht in den Lagerraum strömte.
Eine Leiter wurde herabgelassen und eine freundliche, aber bestimmte Stimme sagte:
»Komm hoch, blinder Passagier!«
Frethmar rappelte sich auf. Seine Beine waren verkrampft, sein Rücken schmerzte. Er strich sein Wams glatt, hängte den Proviantbeutel über seine Schulter, rückte den Gürtel gerade und fuhr sich hastig mit den Fingern durch Bart und Haare. Er untersuchte, ob alle Knöpfe geschlossen waren und die Stiefel zugebunden. In Ordnung, er machte einen guten Eindruck. Er streckte seine Finger aus und drehte bei jedem Ring die schönere Seite nach oben. Sein Herz klopfte wie ein Vorschlaghammer.
Während Frethmar das Kinn selbstbewusst nach vorne reckte und sich streckte, empfand er eine Mischung aus Zorn und Furcht. Sie wussten es und hatten ihn hungern lassen? Waren die beiden Amazonen etwa kein Traum gewesen, sondern bittere Wirklichkeit? Hatten sie sich über ihn, Frethmar Stonebrock, belustigt? War er zum Gespött einer ganzen Amazonenmannschaft geworden? Hatten sie bewusst die leckeren Essensdämpfe durch die Planken zu ihm hingewedelt und sich an seinem Magenknurren erfreut? War er für diese Frauen nur ein kleiner, vierschrötiger Ulk, den man nicht mal ernst genug nahm, um ihn hinzurichten?
»Nun mach’, Zwerg. Wir haben nicht viel Zeit. Der Strick wartet auf dich!«
Seine Beine gaben nach und er krampfte sich an die Taue. Der Strang wartete? Bei den Göttern, sie nahmen ihn also doch ernst. Sie würden ihn jetzt so bestrafen, wie es Sitte war. Vermutlich hatten sie nur gewartet, bis sie einen Hafen angelaufen waren, damit das Schiff stillstand und das Seil nicht schwankte.
Am Halse aufhängen, bis der Tod eintritt ! So nannten es die Richter in Mythenland.
War das ein ehrenhafter Tod?
Gewiss nicht, aber besser, als zu verhungern. Wenn er Glück hatte, war es schnell vorbei, falls sie ihn nicht hochzogen, sondern fallen ließen.
Sein Magen verkrampfte sich und Schweiß floss durch die buschigen Brauen in seine Augen. Er wischte ihn weg, schließlich sollte niemand denken, er würde weinen. Obwohl ihm danach war. Er hatte Angst, grauenvolle Angst. Das Letzte, was er sehen würde, waren schöne Frauen mit eiskalten Augen. Langsam, sehr langsam stieg er die Leiter hoch, während Blitze durch seinen Körper zuckten und sein Darm sich verkrampfte. Was hatte er erwartet? Dass sie nett zu ihm waren? So etwas mochte es in Märchen geben, in der Realität dagegen sah das anders aus.
Und noch eine Stufe.
Sein Kopf schob sich über den Rand und er atmete frische Luft. Sie roch nach Grün und Salz. Dieses Odeur würde seine letzte Erinnerung sein und die wollte er genießen. Wobei er still und leise etwas
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