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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Krim daran gedacht, ihr Wissen zu erweitern? Wie hätte sie das angestellt? Medizinische Fakultäten nahmen Frauen nicht auf. So etwas war undenkbar. Welche Möglichkeiten zum privaten Studium gab es wohl? Was konnte sie ohne Lehrer lernen?
    Eine verschwommene Erinnerung aus seiner Jugend stellte sich ein. Als er damals von Northumberland nach London gekommen war, fest entschlossen, etwas aus sich zu machen und soviel zu lernen, wie er konnte, um sich gegen eine geschäftige, ungeduldige und argwöhnische Welt zu wappnen, war er immer in den Lesesaal des Britischen Museums gegangen.
    Auf dem Absatz machte er kehrt und ging die zwanzig Meter zurück zur Guildford Street, wo er, am Foundling Hospital vorbei, seine Schritte beschleunigte, bis er an den Russell Square gelangte, von dem aus er die Montague Street zum Britischen Museum nahm. Kaum durch die Pforte, ging er direkt in den Lesesaal. Hier hätte sie alle möglichen Bücher und Artikel gefunden, wenn sie so wissensdurstig war, wie ihr Vater behauptet hatte.
    Mit einer Erregung, die in keinem Verhältnis zur Bedeutung seiner Frage stand, wandte er sich an den Bibliothekar.
    »Entschuldigen Sie, darf ich Ihre Zeit einen Augenblick in Anspruch nehmen?«
    »Guten Tag, Sir. Selbstverständlich dürfen Sie«, antwortete der Mann mit einem höflichen Lächeln. Er war klein und ausgesprochen dunkel. »Womit kann ich Ihnen dienen? Sollten Sie etwas zu finden wünschen…« Sein Blick schweifte in unverhohlener Ehrfurcht über die endlosen Reihen sichtbarer und unsichtbarer Bücher. Das ganze Wissen der Welt war hier versammelt, ein Wunder, das ihn nach wie vor in Erstaunen versetzte. Monk sah es in seinen Augen.
    »Ich erkundige mich im Namen der Freunde und der Familie einer jungen Dame, die, wie ich glaube, hier zum Studium herkam«, begann Monk mehr oder weniger wahrheitsgetreu.
    »O Gott«, das Gesicht des Mannes verdunkelte sich. »O Gott, Sir, Sie sprechen ja von ihr, als wäre sie verschieden.«
    »Ich fürchte, ja. Aber wie das nicht selten der Fall ist, wünschen die trauernden Hinterbliebenen nun alles über sie zu wissen, was in Erfahrung zu bringen ist. Es ist alles, was sie noch tun können.«
    »Selbstverständlich. Ja, natürlich.« Der Mann nickte eifrig.
    »Das verstehe ich. Aber die Leute hinterlassen hier nicht immer ihren Namen, wissen Sie, vor allem wenn es sich um Zeitungen und Zeitschriften handelt, kommen sie nur zum Lesen her. Gerade bei Themen, über die sich junge Damen gewöhnlich informieren – fürchte ich.«
    »Die junge Dame war groß, entschlossen und intelligent, und aller Wahrscheinlichkeit nach schlicht gekleidet, vielleicht in Blau oder Grau, und hatte nur wenige Reifen in den Röcken, wenn überhaupt.«
    »Äh.« Das Gesicht des Mannes hellte sich auf. »Ich denke, ich weiß, welche junge Dame Sie meinen! Hat sie sich vielleicht zufällig für medizinische Bücher und Abhandlungen interessiert? Eine ausgesprochen bemerkenswerte Person, sehr ernst. Und immer sehr freundlich, wirklich, außer Leuten gegenüber, die sie unnötigerweise störten und sich über ihre Absichten mokierten.« Er nickte rasch. »Ich erinnere mich da an einen jungen Herren, mit dem sie sehr energisch wurde, weil er – um es einmal so zu sagen – in seiner Aufmerksamkeit sehr hartnäckig war.«
    "Das dürfte sie sein!« Monk verspürte ein plötzliches Hochgefühl. »Sie studierte medizinische Texte, sagten Sie?«
    »O ja, in der Tat, Sir. Sie war ausgesprochen fleißig. Eine sehr ernste Person.« Er sah zu Monk auf. »Ein bißchen erschreckend, wenn Sie wissen, was ich meine, daß eine junge Dame so ernst sein sollte. Ich nahm, fälschlicherweise vielleicht, an, sie habe einen Krankheitsfall in der Familie und wolle soviel als möglich über die Krankheit erfahren.« Er machte ein langes Gesicht.
    »Jetzt sieht es ganz so aus, als hätte ich falsch gelegen, und sie war es selbst. Das tut mir aufrichtig leid. Bei all ihrer Ernsthaftigkeit fühlte ich mich doch zu ihr hingezogen.« Er sagte das, als müsse er sich entschuldigen, als bedürfe das der näheren Erläuterung. »Sie hatte etwas… na ja. Jedenfalls tut es mir leid, das zu hören. Wie kann ich Ihnen denn nun helfen, Sir? Ich fürchte, ich erinnere mich nicht mehr daran, was sie gelesen hat. Aber vielleicht kann ich ja nachsehen. Es war mehr allgemein.«
    »Nein, nein, das ist nicht nötig, ich danke Ihnen«, lehnte Monk ab. Er hatte, was er wollte. »Sie waren ausgesprochen großzügig. Ich wünsche

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