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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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eigenen kleinen Geheimnisse ging. Lieber lebten sie im Schatten eines bedrückenden Unheils.
    Aber wie sah dieses Unheil aus? Alles, woran er sich erinnerte, war ein finsteres Gewicht, das auf ihm lastete, und sein ständiger Zorn.
    Der Regen begann ihm mittlerweile durch die Hose zu dringen, so daß ihm langsam kalt um die Knöchel wurde; zudem lief er ihm in den Nacken. Heftig erschauernd, beschleunigte er seine Schritte. Das Wasser im Rinnstein stieg und verschwand in Strudeln in den Gullys.
    Er mußte es einfach wissen. Er mußte sich verstehen oder besser den Mann, der er damals gewesen war; wie sonst sollte er erfahren, ob sein Zorn gerechtfertigt war oder lediglich eine Ausrede für die ihm eigene Heftigkeit – und damit emotional wie intellektuell unaufrichtig. Was er zutiefst verachtete.
    Aber es gab keinen Grund dafür, sich auf Kosten von Callandras Auftrag gehenzulassen. Er hatte noch immer keine Ahnung, wer Prudence Barrymore ermordet hatte oder warum. Es gab zu viele Möglichkeiten. Es konnte plötzlich aufflackernder Haß bei Geoffrey Taunton gewesen sein, weil er abgewiesen worden war; Panik und Eifersucht einer Nanette Cuthbertson, der die Zeit zwischen den Fingern zerrann, während Geoffrey auf Prudence wartete, die ihn auf Distanz hielt, statt ihn zu erhören oder endgültig abzuweisen.
    Oder es war ein Liebhaber, einer der Ärzte oder jemand aus dem Verwaltungsrat, ein Streit, eine plötzlich aufwallende Eifersucht, vielleicht sogar der Erpressungsversuch an Kristian Beck, den Jeavis laut Evan unterstellte.
    Zu guter Letzt: Falls Prudence Barrymore tatsächlich so eigensinnig, diensteifrig und autoritär gewesen war, wie es den Anschein hatte, konnte es sich genausogut um eine der Schwestern handeln, der angesichts der pausenlosen Angriffe auf Gemütsruhe und Selbstwertgefühl eine Sicherung durchgebrannt war. Vielleicht hatte eine höhnische Bemerkung, eine Kritik das Faß zum Überlaufen gebracht und jemand hatte schließlich zurückgeschlagen.
    Es war nicht mehr weit bis zum Krankenhaus.
    Er lief die letzten Meter und nahm zwei Stufen auf einmal, um endlich unter ein Dach zu kommen. Dann stand er in der Eingangshalle und sorgte für Pfützen auf dem Boden. Er legte den Kragen um, glättete die Aufschläge seines Rocks und fuhr sich in unbewußter Eitelkeit mit den Fingern durchs Haar. Er wollte Evan alleine sprechen, konnte jedoch nicht darauf warten, daß sich die Gelegenheit ohne sein Zutun bot. Er würde ihn suchen müssen in der Hoffnung, ihn ohne Jeavis zu finden. Weitere Pfützen hinterlassend, machte er sich auf die Suche. Er sollte kein Glück haben. Er hatte sich die Ausrede zurechtgelegt, zu Callandra zu wollen, falls ihn jemand fragte, was er hier zu suchen hätte. Aber kaum ging er den Korridor hinauf, stieß er neben dem Wäscheschacht auf Jeavis und Evan.
    Jeavis sah ihn überrascht an, als er ihn erkannte, da er der Kleidung nach jemanden vom Verwaltungsrat erwartet hatte. Argwohn verfinsterte seine Miene. »Guten Tag. Was machen Sie denn hier, Monk?« Er lächelte freudlos. »Sie sind doch nicht etwa krank?« Er musterte Monks vom Regen dunklen Rock, dann die nassen Fußspuren, sagte jedoch nichts.
    Monk zögerte, zog schon eine Lüge in Betracht, aber der Gedanke, sich Jeavis gegenüber zu entschuldigen, war unerträglich.
    »Lady Callandra Daviot hat mich engagiert, wie Sie höchstwahrscheinlich bereits wissen«, antwortete er. »Ist das hier besagter Schacht in die Waschküche?«
    Evan schien sich nicht wohl zu fühlen in seiner Haut. Monk wußte, daß er ihn zu einer Wahl zwischen ihnen zwang. Jeavis’ Gesicht war hart. Monk hatte ihn in die Defensive gedrängt. Was vielleicht ungeschickt war. Aber auf der anderen Seite beschleunigte es vielleicht auch nur, was ohnehin nicht zu vermeiden gewesen wäre.
    »Selbstverständlich«, sagte er kalt. Er hob die dünnen Brauen.
    »Sehen Sie ihn denn zum erstenmal? Bißchen spät für Sie, Monk!«
    »Ich wüßte nicht, was er mir sagen sollte«, erwiderte Monk gereizt. »Hätte er Ihnen etwas gesagt, dann hätten Sie bereits jemanden verhaftet.«
    »Ich hätte schon jemanden verhaftet, wenn ich überhaupt etwas gefunden hätte«, sagte Jeavis in einem seltenen Anflug von Humor. »Aber ich nehme an, das wird Sie nicht daran hindern, trotzdem hinter mir dreinzutappen!«
    »Oder gelegentlich vor Ihnen her«, fügte Monk hinzu.
    Jeavis warf ihm einen Blick zu. »Das mag dahingestellt sein. Aber bitte, Sie können den Schacht

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