Im Schatten der Gerechtigkeit
noch einen guten Tag.«
»Guten Tag, Mr…. äh… guten Tag, Sir.«
Obwohl Monk das Museum wissender verließ, als er hineingegangen war, war er nicht gescheiter als zuvor; sein Erfolgsgefühl entbehrte jeder faktischen Grundlage.
Hester musterte Callandra ebenfalls, wenn auch mit den Augen einer Frau und weit größerer Sensibilität, was die Ursache ihrer Sorgen anbelangte. Nur etwas sehr Persönliches konnte ihr solchen Kummer bereiten. Und sie hatte doch wohl keine Angst um ihre eigene Person, oder? Jeavis konnte sie unmöglich verdächtigen, Prudence ermordet zu haben; sie hatte nicht den geringsten Grund dazu. Und Monk hatte kein Geheimnis daraus gemacht, wer ihn mit den Ermittlungen beauftragt hatte.
War es möglich, daß sie wußte, wer der Mörder war, oder es sich wenigstens einbildete? Daß sie deshalb um ihre persönliche Sicherheit fürchtete? Es schien ihr unwahrscheinlich.
Wenn sie etwas wußte, hätte sie es Monk sicher unverzüglich gesagt und alles Nötige zu ihrem Schutz unternommen.
Hester war immer noch dabei, unbefriedigende Möglichkeiten durchzugehen, als man nach ihr schickte, um Kristian Beck zu assistieren. Mr. Prendergast erholte sich bestens und brauchte keine Nachtwache mehr. Sie war müde von zu wenig Schlaf und der Ungewißheit, ob man sie nicht gleich wieder weckte, kaum daß sie eingeschlafen war.
Kristian Beck sagte nichts, aber sie sah es einem gelegentlichen Ausdruck in seinen Augen an, daß er sehr wohl wußte, wie müde sie war; so lächelte er denn auch nur, wenn sie hin und wieder zögerte. Er kritisierte sie noch nicht einmal, als sie ein Instrument fallen ließ und es aufheben und abwischen mußte, bevor sie es ihm gab.
Als sie fertig waren, schämte sie sich ihrer Ungeschicklichkeit und war erpicht darauf zu gehen, aber andererseits konnte sie sich die Möglichkeit nicht entgehen lassen, ihn eingehender zu beobachten. Er war ebenfalls müde und viel zu intelligent, um sich Jeavis’ Verdächtigungen nicht bewußt zu sein. Es waren gerade solche Zeiten, in denen man sich verriet: Die Gefühle sind viel zu intensiv, als daß man sie noch verbergen könnte, und man hat einfach keine Kraft mehr, auch noch seine Gedanken zu kontrollieren.
»Ich habe keine großen Hoffnungen für ihn«, sagte Kristian leise zu ihr und warf dabei einen Blick auf den Patienten. »Aber wir haben getan, was wir konnten.«
»Wünschen Sie, daß ich bei ihm wache?« fragte sie aus reinem Pflichtgefühl und fürchtete seine Antwort.
Aber sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Er lächelte: eine ebenso aufschlußreiche wie nette kleine Geste.
»Nein, nein, Mrs. Flaherty wird ihm jemanden zuweisen. Sie sollten schlafen.«
»Aber…«
»Sie müssen lernen sich zu entspannen, Miss Latterly.« Er schüttelte sachte den Kopf. »Wenn Sie das nicht tun, werden Sie sich nur erschöpfen – und wem wollen Sie dann noch helfen? Im Krimkrieg haben Sie doch sicher gelernt, daß die erste Regel im Pflegedienst lautet, sich die eigene Kraft zu bewahren. Daß es das Urteilsvermögen trübt, bis an die Grenzen seiner Reserven zu gehen.« Er ließ sie nicht einen Moment aus den Augen. »Und die Kranken verdienen nun einmal Ihr Bestes. Weder Fertigkeiten noch Mitgefühl sind genug. Es bedarf auch eines Quentchens Weisheit.«
»Natürlich, Sie haben recht«, gab sie zu. »Ich habe wohl das Augenmaß verloren.«
Ein humorvoller Ausdruck huschte über sein Gesicht. »So etwas ist schnell passiert. Kommen Sie.« Er verließ den Operationsraum als erster und hielt ihr dann die Tür auf. Schweigend gingen sie nebeneinander her und wären fast mit Callandra zusammengestoßen, die aus einer der Stationen kam.
Sie blieb abrupt stehen, Farbe schoß ihr in die Wangen. Hester sah keinerlei Grund für ihre Verwirrung, konnte sie jedoch nicht übersehen. Sie wollte gerade etwas sagen, als sie bemerkte, daß Callandra nur Augen für Kristian Beck hatte, sie war sich Hesters Anwesenheit kaum bewußt.
»Oh, guten Morgen, Doktor«, sagte Callandra hastig und versuchte ihre Fassung wiederzugewinnen.
Er machte einen etwas verwirrten Eindruck. »Guten Morgen, Lady Callandra.« Er sagte das leise und sprach dabei jedes Wort so deutlich aus, als gehe ihm ihr Name besonders angenehm über die Zunge. Er legte die Stirn in Falten. »Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?«
»O ja!« antwortete sie. Dann wurde ihr klar, wie albern das unter diesen Umständen war. »Soweit man sich das im Augenblick erhoffen darf, nehme ich
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