Im Schatten der Gerechtigkeit
hinunterspähen, so lange Sie wollen. Sie werden nichts weiter sehen als einen Wäschekorb. Und hier oben haben Sie einen langen Korridor, schlecht beleuchtet, mit einem halben Dutzend Türen, aber keine in diesem Abschnitt, außer der zu Dr. Becks Büro und dem des Kämmerers da drüben. Machen Sie damit, was Sie wollen.«
Monk sah sich um, blickte nach rechts und nach links. Der einzig konkrete Schluß, den er zog, war, daß Prudence, falls sie tatsächlich hier neben dem Wäscheschacht ermordet worden war, nicht geschrien haben konnte, ohne gehört zu werden, falls in einem der beiden Büros jemand war. Die anderen Türen schienen außer Hörweite zu sein. War sie jedoch woanders ermordet worden, so hätte man sie ein hübsches Stück über den offenen Korridor tragen müssen, was durchaus ein Risiko barg. Krankenhauskorridore waren nie völlig verlassen, wie es vielleicht in einem Haus oder Büro der Fall gewesen wäre. Er hatte jedoch nicht die Absicht, Jeavis das zu sagen.
»Interessant, nicht wahr?« sagte Jeavis trocken, und Monk wußte, daß er genau dasselbe dachte. »Sieht mir verdächtig nach dem guten Dr. Beck aus, meinen Sie nicht?«
»Oder dem Kämmerer«, pflichtete Monk ihm bei. »Oder jemand, der ganz spontan gehandelt hat, genau hier, und das so flink und überraschend, daß für einen Schrei keine Zeit mehr blieb.«
Jeavis machte ein Gesicht und lächelte. »Sie scheint mir eine Frau gewesen zu sein, die sich gewehrt hätte«, sagte er mit einem leichten Kopf schütteln. »Groß wie sie war. Nicht eben schwächlich, nach allem, was man so hört. Freilich sind einige der anderen Schwestern hier gebaut wie Brauereigäule.« Er sah Monk mit ebenso höflicher, wie belustigter Herausforderung an.
»Ihre Zunge schien nicht weniger scharf gewesen zu sein als das Skalpell eines Chirurgen, und sie hat keine geschont, wenn sie der Ansicht war, daß sie nicht spurte. Eine ganz eigene Sorte Frau, unsere Schwester Barrymore.« Und dann fügte er verhalten hinzu: »Gott sei Dank!«
»Aber gut genug in ihrem Beruf, um zu wissen, wovon sie sprach«, sagte Monk nachdenklich. »Sonst wäre man sie längst losgeworden, meinen Sie nicht?« Er vermied es, Evan anzusehen.
»O ja«, sagte Jeavis, ohne zu zögern. »Das scheint sie zweifelsohne gewesen zu sein. Ich glaube kaum, daß man sich das sonst hätte bieten lassen. Wenigstens nicht die, die sie nicht ausstehen konnten. Und um fair zu sein, das waren nicht alle. Sieht ganz so aus, als wäre sie für einige hier eine Art Heldin gewesen. Und Sir Herbert spricht auch ziemlich gut über sie.«
Eine Schwester mit einem Stapel sauberer Laken kam auf sie zu, und sie traten beiseite, um sie durchzulassen.
»Was ist mit Beck?« fragte Monk, als sie vorbei war.
»Oh, der auch. Aber falls er sie umgebracht hat, wird er uns wohl kaum sagen, daß er sie nicht ausstehen konnte, oder?«
»Was sagen denn die anderen?«
»Tja, Mr. Monk, ich möchte Sie wirklich nicht Ihres Unterhalts berauben, indem ich Ihnen die Arbeit mache«, sagte Jeavis und blickte Monk dabei geradewegs in die Augen. »Wie könnten Sie dann zu Lady Callandra gehen und Ihr Honorar verlangen?« Mit einem Lächeln und einem vielsagenden Blick für Evan ging er den Korridor hinauf.
Evan sah Monk an, zuckte die Achseln und folgte ihm pflichtbewußt. Jeavis war bereits nach einem Dutzend Schritten stehengeblieben und wartete auf ihn.
Monk konnte hier nicht mehr viel tun. Er hatte keinerlei Befugnis, jemanden zu befragen, und der Versuchung, Hester aufzusuchen, widerstand er. Jede unnötige Verbindung zu ihm würde ihre Chancen verringern, hier Fragen zu stellen, ohne sich verdächtig zu machen. Womit sie ihm natürlich nicht mehr von Nutzen wäre.
Er hatte den Grundriß des Hauses fest im Kopf. Wenn er nur herumstand, würde er kaum etwas erfahren.
Er war eben auf dem Weg nach draußen, ärgerlich und gereizt, als er Callandra die Halle durchqueren sah. Sie sah müde aus, und ihr Haar war noch unordentlicher als gewöhnlich. Ihrem Gesicht fehlte der sonst so charakteristische humorvolle Zug, und überhaupt machte sie den Eindruck, als habe sie Sorgen, was ihr ganz und gar nicht ähnlich sah.
Sie war schon fast auf gleicher Höhe mit Monk, als sie ihn endlich erkannte. Worauf sich ihr Ausdruck änderte, aber er sah sehr wohl, welche Anstrengung es sie kostete.
War es der Tod der Krankenschwester, wenn auch einer so unbequemen wie Prudence Barrymore, der sie so tief bekümmerte? War es die Tatsache,
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