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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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schüttelte den Kopf.
    »Sie akzeptieren einfach, daß er schuldig ist. Sie haben darüber nicht groß nachgedacht, ihnen genügt der Standesunterschied zwischen Arzt und Schwester. Er hatte Macht, sie nicht. Der ewige Groll der Schwachen gegen den Starken, der Armen gegen die Reichen, der Unwissenden gegen die Klugen und Gebildeten. Aber man müßte schon sehr raffiniert sein, um ihnen im Zeugenstand etwas aus der Nase zu ziehen.«
    »Ich nehme Ihre Warnung zur Kenntnis«, sagte er grimmig. Die Aussichten waren nicht eben rosig. Sie hatte ihm nichts gesagt, aber immerhin Hoffnung gemacht. »Was denken denn Sie über Sir Herbert? Sie haben doch mit ihm gearbeitet, nicht wahr?«
    »Ja.« Sie legte die Stirn in Falten. »Ich bin überrascht, aber es fällt mir schwer zu glauben, daß er sie benutzt hat, wie ihre Briefe vermuten lassen. Ich hoffe, das hört sich jetzt nicht nach verletzter Eitelkeit an, aber ich habe in seinem Blick nie auch nur das leiseste Interesse an mir gesehen.« Sie sah Rathbone aufmerksam an, um seine Reaktion abzuschätzen. »Und ich habe sehr eng mit ihm zusammengearbeitet«, fuhr sie fort. »Oft bis spät in die Nacht. Und bei schwierigen Fällen, wenn viel Raum für Gefühle über gemeinsame Erfolge oder Niederlagen war. Nachdem, was ich gesehen habe, geht er völlig in seiner Arbeit auf und verhält sich in jeder Hinsicht korrekt.«
    »Wären Sie bereit, das zu beeiden?«
    »Selbstverständlich. Aber ich sehe nicht, was Ihnen das nützen soll. Wahrscheinlich würde das auch jede der anderen Schwestern beeiden, die mit ihm gearbeitet hat.«
    »Ich kann sie nicht aufrufen, wenn ich mir nicht sicher bin, daß sie das auch wirklich tun«, erklärte er. »Ich frage mich, ob Sie…«
    »Das habe ich bereits«, unterbrach sie ihn. »Ich habe mit einigen gesprochen, die hin und wieder mit ihm gearbeitet haben, vor allem den Hübschesten unter den Jüngeren. Nicht eine, die ihm nicht die größte Korrektheit bescheinigt hätte.« Seine Stimmung hob sich etwas. War es auch nicht viel, so ergab sich immerhin langsam ein Bild. »Das hilft mir doch schon«, sagte er. »Hat sich Schwester Barrymore jemandem anvertraut? Sie hatte doch sicher jemanden, der ihr besonders nahestand.«
    »Nicht daß ich wüßte.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich werde dem noch mal nachgehen. Auf der Krim hatte sie jedenfalls niemanden. Sie ging völlig in ihrer Arbeit auf. Sie hätte auch weder Zeit noch Gefühle übrig gehabt – es reichte gerade für jene Art schweigendes Verständnis, das einen keine Mühe kostet. England und alle Bindungen hatte man zurückgelassen. Ich nehme an, es gab eine ganze Menge, wovon ich keine Ahnung habe – woran ich noch nicht einmal dachte.«
    »Ich muß es wissen«, sagte er schlicht. »Es wäre von entscheidender Bedeutung zu wissen, was in ihr vorging.«
    »Selbstverständlich.« Sie sah ihn einen Augenblick ernst an und richtete sich dann auf. »Ich werde Sie über alles informieren, was ich auch nur irgendwie für nützlich halte. Brauchen Sie es schriftlich, oder genügt Ihnen ein mündlicher Rapport?«' Nur mit Mühe verkniff er sich ein Lächeln. »Oh, ein mündlicher Rapport ist weitaus besser«, sagte er nüchtern.
    »Sollte ich beim einen oder anderen Thema nachfragen wollen, kann ich es gleich tun. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung. Ich bin sicher, es dient der Gerechtigkeit.«
    »Ich dachte, Sie dienen Sir Herbert«, sagte sie trocken, aber nicht ohne Humor. Dann verabschiedete sie sich höflich mit der Entschuldigung, sie müsse wieder zu ihren Pflichten zurück.
    Nachdem sie gegangen war, stand er noch einige Augenblicke allein in dem kleinen Raum. Er spürte langsam ein Hochgefühl in sich aufkommen. Er hatte ganz vergessen, wie anregend sie wirkte, wie intuitiv und intelligent sie war, wie natürlich. Ihre Gegenwart wirkte auf angenehme Weise vertraut, merkwürdig wohltuend und irgendwie beruhigend. Es war etwas, was sich weder so einfach verdrängen ließ, noch konnte er es sich aussuchen, ob und wann es ihm in den Sinn kommen sollte.
    Monk hatte ziemlich gemischte Gefühle dabei, Oliver Rathbone bei Sir Herberts Verteidigung zur Hand zu gehen. Als er die Briefe gelesen hatte, war er überzeugt gewesen, sie seien der Beweis für eine Beziehung, die weit über das hinausging, was Sir Herbert eingestehen wollte. Das Ganze war sowohl auf beruflicher wie auf persönlicher Ebene eine Schande. Die Gefahr einer Indiskretion ihrerseits, und damit hatte sie ja

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