Im Schatten der Gerechtigkeit
weiblich, weder laut noch unbeholfen.«
Ihre schweren Lider senkten sich kaum merklich.
»Höchstwahrscheinlich ist sie in jeder Hinsicht eine exzellente Frau. Ich habe jedenfalls keinen Grund daran zu zweifeln.«
»Und was war mit Schwester Barrymore?« fragte er, abermals mit einem wachsamen Blick auf ihr Gesicht, sah jedoch nicht, daß sich ihr Ausdruck auch nur um eine Nuance verändert hätte, nichts, was ein Gefühl verraten hätte oder daß sie etwas Beunruhigendes wußte.
»Von ihr weiß ich nur das wenige, was ich selbst beobachtet habe, oder was mir von anderen zugetragen wurde. Ich muß allerdings gestehen, daß ich nie etwas Nachteiliges über sie gehört habe.« Ihr Blick durchforschte sein Gesicht. »Offen gesagt, ich denke, sie war nicht weniger langweilig als er! Sie paßten gut zusammen.«
»Eine interessante Wortwahl, Madam.«
Sie lachte ganz offen. »Unbeabsichtigt, Mr. Monk. Ich hatte keinerlei Hintergedanken dabei.«
»Glauben Sie, daß sie sich Tagträumen über ihn hingab?« fragte er.
Sie blickte an die Decke. »Weiß der Himmel. Ich hätte gedacht, sie wüßte ein besseres Objekt dafür – Dr. Beck, zum Beispiel. Er ist ein Mann voll Gefühl und Humor, etwas eitel und, wie ich denke, mit etwas natürlicheren Gelüsten.« Sie stieß ein kleines Lachen aus. »Aber das hat sie vielleicht gar nicht interessiert.« Sie sah wieder ihn an. »Nein, um offen zu sein, Mr. Monk, meiner Ansicht nach hat sie Sir Herbert ungemein verehrt, wie wir das hier alle tun, aber keineswegs auf einer persönlichen Ebene. Daß sie ihn in einem romantischen Licht gesehen haben sollte, überrascht mich wirklich. Aber dann wiederum ist das Leben ja voller Überraschungen, finden Sie nicht?« Wieder trat das Leuchten in ihre Augen, ein lebhaftes Funkeln, das fast einer Aufforderung glich, obwohl er nicht hätte sagen können, ob zu mehr als nur zu größerer Bewunderung.
Und das war auch schon alles, was von ihr zu erfahren war. Nicht eben von großem Nutzen für Oliver Rathbone, aber er erstattete trotzdem Bericht.
Bei Kristian Beck erging es ihm nicht viel besser, obwohl das Gespräch gänzlich anders verlief. Er traf sich mit ihm auf Becks Vorschlag hin bei ihm zu Hause. Mrs. Beck selbst war nicht zugegen, aber ihr kaltes, präzises Naturell sprach aus jedem der phantasielosen Möbel, der unerbittlichen Korrektheit, mit der alles auf seinem Platz stand, den sterilen Bücherschränken, in denen alles seine Ordnung hatte, sowohl die Reihen der Bücher, als auch der konventionelle Inhalt. Selbst die Blumen in den Vasen waren sorgfältig arrangiert und standen steif wie Soldaten. Der Gesamteindruck war sauber, ordentlich und abweisend. Monk lernte die Frau nicht kennen (offensichtlich war sie außer Haus, bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung oder wo auch immer), aber er konnte sie sich trotzdem lebhaft vorstellen: das Haar von einem strengen Mittelscheitel aus nach hinten gezogen, die Brauen ohne Schwung und Phantasie, flache Backenknochen und kleinliche, leidenschaftslose Lippen.
Warum um alles in der Welt hatte Beck eine solche Frau geheiratet? Er war das genaue Gegenteil; sein Gesicht war voller Gefühl und Humor, die Lippen sinnlich, ohne etwas Grobes oder Genußsüchtiges zu haben. Welcher unglückliche Zufall mochte die beiden zusammengeführt haben? Sicher würde er das nie erfahren. Mit bitterer Selbstironie dachte er, daß Beck womöglich einen ebenso schlechten Blick für Frauen hatte wie er selbst! Vielleicht hatte er die Leidenschaftslosigkeit ihres Gesichts als Reinheit und Kultiviertheit gedeutet, ihre Humorlosigkeit als Intelligenz oder gar Frömmigkeit.
Kristian führte ihn in sein Arbeitszimmer, einen Raum, der völlig anders war, weil dort sein eigener Charakter deutlich wurde. Auf den Regalen stapelten sich Bücher aller Art:
Romane und Gedichtbände neben Biographien, Historischem, Philosophischem und medizinischer Fachliteratur. Die Farben waren satt, die Vorhänge aus Samt, der Kamin mit Kupfer verblendet, und der Sims bot eine höchst persönliche Ansammlung von Gegenständen. Die eisige Mrs. Beck hatte hier keinen Platz. Genaugenommen erinnerte der Raum Monk eher an Callandra. Seine willkürliche Ordnung, sein Reichtum und Wert erinnerten ihn an sie. Er konnte sie sich hier vorstellen, ihr sensibles humorvolles Gesicht, die lange Nase, das unordentliche Haar, ihr unbeirrbarer Instinkt für das, was wirklich zählte.
»Wie kann ich Sie unterstützen, Mr. Monk?« Kristian betrachtete
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