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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wissen.
    Fast schnitt sie eine Grimasse. »Die Art Mann, die in einem eine überwältigende Leidenschaft wecken könnte.« Auch das fast eine Frage, während der sie sein Gesicht musterte.
    »Wovon könnte in ihren Briefen denn sonst die Rede gewesen sein?« fragte er.
    Sie schüttelte knapp den Kopf. »Ich sehe keine andere Erklärung. Es fällt mir nur schwer, es zu glauben. Ich nehme an, sie hat sich wohl mehr verändert, als ich für möglich gehalten hätte.« Ihr Gesichtsausdruck wurde härter. »Es muß zwischen den beiden etwas gegeben haben, worauf wir noch nicht gekommen sind: zarte Bande, etwas, was sie teilten und was ihr über die Maßen teuer war, so teuer, daß sie es nicht aufgeben konnte – selbst auf die Gefahr hin, sich auf das unwürdige Niveau von Drohungen zu begeben.«
    Wieder das energische, ungeduldige kleine Kopfschütteln, als wollte sie ein lästiges Insekt verscheuchen. »Sie war immer so direkt, so offen. Was in aller Welt wollte sie mit der erzwungenen Zuneigung eines Mannes? Das ist so unlogisch!«
    »Solche Schwärmereien sind selten logisch, meine Liebe«, sagte er ruhig. »Wenn Sie für jemanden eine so heftige, alles verzehrende Leidenschaft empfinden, können Sie einfach nicht glauben, daß der andere über kurz oder lang nicht genauso empfindet. Wenn Sie nur die Möglichkeit hätten, mit ihm zusammenzusein, könnten Sie alles ändern!« Er verstummte abrupt. Natürlich war es ebenso wahr wie wichtig für den Fall, aber es war weit mehr, als er hatte sagen wollen. Und doch hörte er sich weitersprechen. »Haben Sie denn noch nie für jemanden so empfunden?« Er fragte nicht nur wegen Prudence Barrymore, sondern auch weil er wissen wollte, ob Hester nie das ungestüme Aufwallen eines Gefühls gekannt hatte, das alles andere in den Hintergrund treten und alle anderen Bedürfnisse und Wünsche zweitrangig erscheinen ließ. Kaum waren die Worte gesprochen, wünschte er, nichts gesagt zu haben. Sagte sie nein, so würde sie ihm kalt vorkommen – als wäre sie keine richtige Frau –, und er müßte befürchten, sie sei solcher Gefühle nicht fähig. Sagte sie aber ja, wäre er lächerlich eifersüchtig auf den Mann, der sie ausgelöst hatte. Er kam sich ungemein dumm vor, während er auf ihre Antwort wartete.
    Falls sie sich seines inneren Aufruhrs bewußt war, so ließ sie sich das jedenfalls nicht anmerken. »Wenn ja, so hätte ich sicher nicht den Wunsch, das hier zu erörtern«, sagte sie und lächelte ihn dann plötzlich an. »Ich bin keine große Hilfe, was? Tut mir leid. Sie müssen Sir Herbert verteidigen, und das hier wird Ihnen dabei nicht das geringste nützen. Ich glaube, es ist besser, Sie versuchen herauszufinden, welche Druckmittel sie gegen ihn in der Hand hatte. Finden Sie nichts, wird das für ihn sprechen.« Sie hob die Brauen. »Das nützt Ihnen nicht viel, was?«
    »So gut wie gar nichts«, pflichtete er ihr bei und zwang sich, ihr Lächeln zu erwidern.
    »Was kann ich tun, um Ihnen behilflich zu sein?« fragte sie ganz offen.
    »Mir Hinweise dafür beschaffen, daß es jemand anders war.« Ein Zweifel huschte über ihr Gesicht, vielleicht auch Besorgnis oder Unglück. Aber sie erklärte ihm nichts.
    »Was ist?« drängte er sie. »Wissen Sie etwas?«
    »Nein«, sagte sie zu rasch. Dann begegnete sie seinem Blick.
    »Nein, ich habe nicht den geringsten Hinweis, der einen anderen belasten könnte. Ich glaube, die Polizei hat alle anderen Verdächtigungen ziemlich gründlich unter die Lupe genommen. Ich weiß, daß Monk sich ernste Gedanken über Geoffrey Taunton und Nanette Cuthbertson gemacht hat. Ich nehme an, Sie werden sich mit ihnen befassen wollen?«
    »Das werde ich ganz gewiß, natürlich. Was ist mit den anderen Schwestern hier? Haben Sie einen Eindruck von deren Gefühle Schwester Barrymore gegenüber gewonnen?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob meine Eindrücke von Wert sind, aber mir scheint, man verehrte und haßte sie zugleich aber getan hätte ihr keine was.« Sie sah ihn mit einem merkwürdigen Ausdruck an, halb ironisch, halb traurig. »Sie sind sehr wütend auf Sir Herbert. Sie glauben, er ist es gewesen, und sie haben nicht das geringste Mitleid mit ihm.« Sie lehnte sich leicht gegen einen der Arbeitstische. »Sie wären sehr schlecht beraten, eine von ihnen als Zeugin aufzurufen, nicht, wenn es sich vermeiden läßt.«
    »Warum? Glauben sie denn, sie hat ihn geliebt, und er hat sie getäuscht?«
    »Ich weiß nicht, was sie denken.« Sie

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