Im Schatten der Gerechtigkeit
sich immer und immer wieder. »Fügen Sie nichts hinzu! Geben Sie nichts freiwillig: Er ist Ihr Feind.«
»Aber Sie müssen doch ein beträchtliches Maß an Vertrautheit im Umgang mit Frauen haben…« Lovat-Smith ließ den Satz in der Luft hängen, hob die Brauen und öffnete seine hellgrauen Augen, so weit es ging.
Sir Herbert sagte nichts.
Rathbone stieß einen erleichterten Seufzer aus.
»Sie sind verheiratet, und das seit vielen Jahren«, stellte Lovat-Smith fest. »Ja, Sie haben sogar eine große Familie mit drei Töchtern. Sie stellen Ihr Licht unter den Scheffel, Sir. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, daß Ihr Familienleben zufriedenstellend und wohlgeordnet ist und daß Sie ein ausgezeichneter Ehemann und Vater sind.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Sir Herbert freundlich.
Lovat-Smiths Gesicht wurde strenger. Von irgendwo aus dem Saal kam ein leises Kichern, das aber sofort unterdrückt wurde.
»Es war nicht als Kompliment gedacht, Sir!« sagte Lovat-Smith scharf. Dann fuhr er eilig fort, bevor es zu noch mehr Gelächter kam. »Es ging mir darum, darauf hinzuweisen, daß Sie nicht so ungeübt im Umgang mit Frauen sind, wie Sie uns hier glauben machen wollen. Ihre Beziehung zu Ihrer Frau ist ausgezeichnet, sagen Sie, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Zumindest ist sie unbestreitbar von Dauer und sehr intim.«
Wieder das belustigte Gekicher aus der Menge, wenn auch nur kurz, da man es auch diesmal sofort unterdrückte. Die Sympathien lagen bei Sir Herbert; Lovat-Smith erkannte das und würde denselben Fehler nicht noch einmal machen.
»Sie erwarten doch nicht etwa von mir, Ihnen zu glauben, daß Sie völlig unbedarft sind, was Natur und Gefühle der Frauen anbelangt, die Art, wie sie auf Schmeicheleien oder Aufmerksamkeiten reagieren?«
Jetzt hatte Sir Herbert niemanden mehr, der ihn führte, wie Rathbone das getan hatte. Er stand dem Feind allein gegenüber. Rathbone knirschte mit den Zähnen.
Sir Herbert schwieg einige Augenblicke. Hardie sah ihn fragend an.
Lovat-Smith lächelte.
»Ich glaube nicht«, antwortete Sir Herbert schließlich und sah Lovat-Smith direkt in die Augen, »daß es vernünftig ist, die Beziehung zu meiner Frau mit der Beziehung zu meinen Krankenschwestern zu vergleichen, auch nicht mit den besten von ihnen, zu denen Miss Barrymore zweifelsohne gehörte. Meine Frau kennt mich und legt meine Worte nicht falsch aus. Und die Beziehung zu meinen Töchtern ist wohl kaum von der Art, wie sie hier zur Debatte steht. Sie hat damit nicht das geringste zu tun.« Er verstummte abrupt und starrte Lovat-Smith an.
Wieder nickten die Geschworenen, ihr Verständnis war ihnen deutlich anzusehen. Lovat-Smith änderte seine Taktik ein wenig ab. »War Miss Barrymore die einzige junge Frau aus gutem Hause, mit der Sie zusammengearbeitet haben, Sir Herbert?«
Sir Herbert lächelte. »Es ist noch nicht sehr lange her, daß derlei junge Damen sich für die Krankenpflege interessieren, Sir. Um genau zu sein, erst seit Miss Nightingale durch ihre Arbeit auf der Krim so berühmt geworden ist, daß andere ihr nachzueifern trachten. Und dann natürlich jene, die mit ihr gedient haben, wie Miss Barrymore und Miss Latterly, eine wirklich ausgezeichnete junge Schwester, die sie ersetzt hat. Vorher waren die einzigen Frauen von Stand, die im Krankenhaus zu tun hatten – Arbeit im gleichen Sinne kann man das nicht nennen – jene, die im Verwaltungsrat arbeiteten, wie etwa Lady Ross Gilbert und Lady Callandra Daviot. Und sie sind gewiß keine romantisch veranlagten jungen Damen.«
Rathbone stieß einen tiefen Seufzer aus. Er hatte auch diese Klippe großartig umschifft. Er hatte es auf elegante Art vermieden zu sagen, Berenice und Callandra seien nicht jung.
Lovat-Smith wußte eine Abfuhr würdevoll wegzustecken; er versuchte es noch einmal. »Habe ich richtig verstanden, Sir Herbert, wenn ich sage, Sie sind an Bewunderung gewöhnt?«
Sir Herbert zögerte. »Ich würde ›Respekt‹ vorziehen«, wehrte er die allzu offene Eitelkeit ab.
»Das glaube ich gern.« Lovat-Smith lächelte ihn an und zeigte dabei seine scharfen, gleichmäßigen Zähne. »Aber ich meinte durchaus Bewunderung. Bewundern Ihre Studenten Sie etwa nicht?«
»Das sollten Sie sie besser selbst fragen, Sir.«
»Ach, kommen Sie.« Lovat-Smiths Lächeln wurde breiter.
»Keine falsche Bescheidenheit, bitte. Wir sind hier nicht in einem Damenzimmer, in dem man sich Artigkeiten zu sagen braucht.« Seine Stimme wurde mit
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