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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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einemmal hart. »Sie sind ein Mann, der an übermäßige Bewunderung gewöhnt ist, daran, daß Leute ihm jedes Wort von den Lippen ablesen. Das Gericht wird Ihnen schwerlich abnehmen, Sie wüßten nicht zwischen übermäßigem Enthusiasmus, Speichelleckerei und emotioneller Wertschätzung zu unterscheiden – letztere persönlich und damit überaus gefährlich.«
    »Medizinstudenten sind allesamt junge Herren«, antwortete Sir Herbert. »Die Frage nach romantischen Gefühlen stellt sich da nicht.«
    Zwei oder drei der Geschworenen lächelten.
    »Und bei den Schwestern?« bohrte Lovat-Smith mit großen Augen und leiser Stimme weiter.
    »Verzeihen Sie mir, wenn ich etwas ungehobelt bin«, sagte Sir Herbert geduldig. »Aber ich dachte, das hätten wir bereits erledigt. Bis vor kurzem gehörten Schwestern keiner gesellschaftlichen Schicht an, mit der eine persönliche Beziehung in Betracht zu ziehen wäre.«
    Lovat-Smith schien nicht im mindesten aus der Fassung gebracht. Er lächelte verhalten und zeigte ein weiteres Mal seine Zähne. »Und Ihre Patienten, Sir Herbert? Waren das auch nur Männer fortgeschrittenen Alters aus einer gesellschaftlichen Klasse, die nicht in Betracht kommt?«
    Langsam kam Farbe in Sir Herberts Wangen.
    »Selbstverständlich nicht«, sagte er völlig ruhig. »Aber die Dankbarkeit eines Patienten ist etwas völlig anderes. Man lernt sie mit seinen Fertigkeiten zu assoziieren, mit den Schmerzen und natürlichen Ängsten des Patienten, man nimmt sie nicht als persönliches Gefühl. Die Intensität ist vergänglich, selbst wenn die Dankbarkeit bleibt. Die meisten Ärzte kennen solche Gefühle und wissen sie richtig einzuschätzen. Sie als Liebe mißzuverstehen wäre reichlich töricht.«
    Schön, dachte Rathbone. Jetzt aber Schluß, um Himmels willen. Verderben Sie nicht wieder alles, indem Sie noch mehr sagen.
    Sir Herbert öffnete den Mund; dann jedoch, als höre er Rathbones Gedanken, schloß er ihn wieder.
    Lovat-Smith stand in der Saalmitte und starrte, den Kopf leicht zur Seite geneigt, zum Zeugenstand hinauf. »Sie waren also trotz der Erfahrungen mit Ihrer Frau, Ihren Töchtern und Ihren dankbaren Patienten völlig überrascht, als Prudence Barrymore Ihnen gegenüber ihre Liebe und Hingabe zum Ausdruck brachte – einem glücklich verheirateten Mann!«
    Aber so leicht war Sir Herbert nicht zu überrumpeln. »Sie hat sie nicht zum Ausdruck gebracht, Sir«, antwortete er ruhig. »Sie hat nie etwas gesagt oder getan, was mich zu der Annahme veranlaßt hätte, ihre Wertschätzung sei mehr als rein beruflicher Natur. Ich habe davon zum erstenmal gehört, als man mir die Briefe vorlas.«
    »Tatsächlich?« sagte Lovat-Smith kopfschüttelnd, sein Zweifel war deutlich zu hören. »Erwarten Sie ernsthaft, daß Ihnen die Geschworenen das glauben?« Er wies auf die Jury.
    »Sie haben hier intelligente, erfahrene Männer vor sich. Ich denke, sie werden einige Mühe damit haben, sich vorzustellen, daß man derart… naiv sein kann!« Er wandte sich vom Zeugenstand ab und ging an seinen Tisch zurück.
    »Ich hoffe doch, es gelingt ihnen«, sagte Sir Herbert ruhig und beugte sich über die Brüstung, die Hände um die Kante gelegt. »Es ist die Wahrheit. Vielleicht war ich nachlässig, vielleicht habe ich sie nicht als junge, romantische Frau gesehen, sondern lediglich als eine Schwester, auf die ich mich in jeder Hinsicht verlassen kann. Und das mag eine Sünde sein die ich ewig bedauern werde. Aber es ist kein Grund, einen Mord zu begehen!«
    Das Publikum applaudierte kurz. Jemand rief: »Hört, hört!« und Richter Hardie warf ihm einen Blick zu. Einer der Geschworenen nickte lächelnd.
    »Wollen Sie Ihren Zeugen nochmals vernehmen, Mr. Rathbone?« fragte Hardie.
    »Nein, danke, Euer Ehren«, lehnte Rathbone huldvoll ab. Hardie entließ Sir Herbert, der würdig und erhobenen Hauptes wieder auf die Anklagebank zurückkehrte.
    Rathbone rief eine Reihe von Sir Herberts Kollegen auf. Er fragte sie nicht so viel, wie er ursprünglich beabsichtigt hatte; der Eindruck, den Sir Herbert auf das Gericht gemacht hatte, war so stark, daß er ihn nicht mit Aussagen ersticken wollte, die im großen und ganzen unwesentlich schienen. Er bat sie kurz um ihren Eindruck von Sir Herbert als Kollegen, und sie bestätigten ihm durch die Bank und ohne zu zögern große Fertigkeiten und starkes Engagement. Er fragte nach Sir Herberts Ruf, was seine persönliche Moral anbelangte, und man erklärte nicht weniger klar, daß

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