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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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machen.
    Philomena blieb, wo sie war. »Würden Sir mir bitte sagen, was passiert ist, Lady Callandra?«
    »Es ist nichts passiert, jedenfalls nichts Neues. Es ist nur das Wissen um alte Sünden und traurige Begebenheiten, über die Sie Bescheid wissen sollten, um zu verhindern, daß sie noch einmal passieren.«
    »Wem?«
    »Ihren Kindern, Lady Stanhope.«
    »Meinen Kindern?« Sie war nicht wirklich erschrocken, sie glaubte ihr nur nicht. »Was haben meine Kinder mit dieser… dieser schweren Prüfung zu tun? Und was sollten sie wohl darüber wissen?«
    »Ich bin im Verwaltungsrat des Königlichen Armenspitals«, antwortete Callandra und setzte sich. »Ihre Tochter Victoria hat dort vor einiger Zeit, als sie bemerkte, daß sie schwanger war, einen Arzt konsultiert.«
    Philomena war totenbleich, bewahrte aber Haltung und blieb nach wie vor stehen. »Tatsächlich? Das wußte ich nicht, aber es scheint mir im Augenblick kaum von Bedeutung. Es sei denn… es sei denn, Sie sagen mir, daß er sie verkrüppelt hat.«
    »Nein, er war es nicht.« Gott sei Dank konnte sie das sagen!
    »Ihre Schwangerschaft war bereits zu weit fortgeschritten. Er verweigerte die Operation.«
    »Dann verstehe ich nicht, was für einen Sinn es haben sollte, diese Angelegenheit noch einmal aufzugreifen – außer um alte Wunden aufzureißen!«
    »Lady Stanhope…« Callandra haßte das. Sie spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. »Lady Stanhope, wissen Sie, wer der Vater von Victorias Kind war?«
    Philomenas Hals war wie zugeschnürt. »Das dürfte Sie kaum etwas angehen, Lady Callandra.«
    »Sie wissen es!«
    »Ich weiß es nicht. Ich konnte sie nicht dazu bewegen, es mir zu sagen. Allein daß ich sie so bedrängte, schien sie mit einem solchen Entsetzen, mit solcher Verzweiflung zu erfüllen, daß ich fürchtete, sie würde sich das Leben nehmen, wenn ich weiter in sie drang.«
    »Bitte, setzen Sie sich doch.«
    Philomena gehorchte, nicht weil Callandra sie darum bat, sondern weil ihr die Beine zu versagen drohten.
    »Sie hat es dem Arzt gesagt«, erklärte Callandra. Sie hörte ihre Stimme in dem leeren Raum mit seiner toten Atmosphäre und haßte sie.
    »Ich verstehe nicht, Victoria war doch bei ausgezeichneter Gesundheit – damals…«
    »Das Kind war Resultat eines Inzests. Der Vater war ihr Bruder Arthur.«
    Philomena versuchte etwas zu sagen, aber die Stimme versagte ihr. Sie war so blaß, daß Callandra befürchtete, sie würde, obwohl sie sich inzwischen gesetzt hatte, in Ohnmacht fallen.
    »Ich hätte Ihnen das gerne erspart«, sagte sie leise. »Aber Sie haben noch andere Töchter. Um ihretwillen mußte ich Sie informieren. Ich wünschte, dem wäre nicht so.« Philomena schien wie gelähmt.
    Callandra beugte sich vor und nahm eine ihrer Hände. Sie fühlte sich kalt an und steif. Dann stand sie auf, zog heftig an der Klingelschnur und blickte auf die Tür.
    Kaum erschien das Hausmädchen, schickte sie sie nach Brandy und einer heißen Tasse gesüßten Kräutertees. Das Mädchen zögerte.
    »Stehen Sie nicht herum!« sagte Callandra scharf. »Sagen Sie dem Butler, er soll den Brandy bringen, und Sie holen den Tee. Beeilen Sie sich!«
    »Arthur«, sagte Philomena mit einer spröden Stimme, der man ihre Seelenqualen anhörte. »Lieber Gott, wenn ich das gewußt hätte! Hätte sie mir das doch nur gesagt!« Langsam beugte sie sich vor; ihr ganzer Körper wurde von einem schrecklichen trockenen Schluchzen geschüttelt.
    Callandra kniete nieder, legte die Arme um die gepeinigte Frau und drückte sie an sich, während Philomena unter Weinkrämpfen bebte.
    Der Butler brachte den Brandy, stand hilflos da, von Ungewißheit und Verlegenheit gequält, aber schließlich stellte er das Tablett ab und ging.
    Als Philomenas Kraft verbraucht war, hing sie reglos und erschöpft in Callandras Armen.
    Sachte drückte Callandra sie in den Sessel zurück, holte den Brandy und hielt ihn ihr an die Lippen.
    Philomena nippte daran, würgte und trank dann den Rest. »Sie verstehen das nicht«, sagte sie schließlich mit roten Rändern um die Augen, das Gesicht tränenverschmiert. »Ich hätte sie retten können. Ich hätte ihr zu einer ordentlichen Abtreibung verhelfen können, ich kenne eine Frau, die weiß… wo man den richtigen Arzt findet, gegen entsprechendes Entgelt, versteht sich. Wenn sie nur das Gefühl gehabt hätte, mir vertrauen zu können, hätte ich sie noch rechtzeitig zu diesem Mann gebracht. Als sie selbst dorthin kam, war es bereits zu

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