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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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beiden Eimer.
    Hester hatte sich inzwischen einen Schlachtplan zurechtgelegt. »Glauben Sie, daß er’s gewesen ist?« fragte sie beiläufig.
    »Was?«
    »Glauben Sie, daß er’s gewesen ist?« wiederholte sie, als sie Seite an Seite mit ihren Eimern den Korridor langgingen.
    »Wer soll was gewesen sein?« fragte die Frau gereizt.
    »Meinen Sie den Kämmerer? Ob der wieder mal Mary Higgins begrapscht hat? Weiß der Teufel! Und wen int’ressiert das schon? Die wollt’s doch nicht anders – die blöde Kuh!«
    »Eigentlich habe ich Sir Herbert gemeint«, erklärte Hester.
    »Glauben Sie, er hat die Barrymore umgebracht? In den Zeitungen heißt es, daß der Prozeß bald vorbei ist, und ich denke, dann ist er wohl wieder hier. Ich frage mich, ob ihn das verändert hat?«
    »Den doch nicht. Dieser Großkotz! Das geht gleich wieder weiter: ›Hol dies‹, ›gib das‹, ›Stell dich hier hin‹, ›stell dich da hin‹, ›daß mir das hier ja ausgeleert wird und die Bandagen aufgerollt werden‹, ›das Messer, wo bleibt denn das Messer!‹«
    »Sie haben wohl mit ihm gearbeitet?«
    »Ich? Herrgott nein! Ich leer’ bloß Eimer und wisch’ die Böden!« sagte sie angewidert.
    »Und ob Sie haben! Sie haben ihm doch sogar bei einer Operation assistiert! Und das sehr gut, wie ich gehört habe! Letzten Juli, eine Frau mit einem Geschwür im Bauch.«
    »Oh… ja! Und noch mal im Oktober – aber danach nicht mehr. Ich war dem Herrn nicht gut genug!« Sie räusperte sich und spuckte aus.
    »Wer ist denn dann gut genug?« fragte Hester und legte dabei das passende Quentchen Verachtung in den Ton. »Meiner Ansicht nach hört sich das nach nichts Besonderem an.«
    »Dora Parsons«, antwortete die Frau widerstrebend. »Die hat er doch ständig genommen. Und Sie haben recht, was Besond’res war das nicht. Man steht ja bloß da und gibt ihm Messer und Tücher und all das Zeug. Jeder Trottel könnte das. Weiß auch nicht, wieso er grade Dora genommen hat. Die hat doch von nichts ’ne Ahnung. Jedenfalls nicht mehr wie ich!«
    »Und hübscher ist sie auch nicht!« sagte Hester lächelnd.
    Die Frau starrte sie an und brach dann in ein lautes, gackerndes Lachen aus. »Sie sind mir vielleicht ’ne Marke, Sie! Bei Ihnen weiß man nie, was als nächstes kommt! Lassen Sie das bloß nicht den alten Stockfisch hören, sonst landen Sie noch vor unsrer Gräfin Rotz – wegen Unmoral! Obwohl, wenn der wirklich scharf auf Dora Parsons war, dann dürften Sie den noch nicht mal Ihre Schweine hüten lassen!« Worauf sie noch lauter und länger lachte. Hester leerte ihren Eimer aus und ließ die immer noch kichernde Frau stehen.
    Dora Parsons. Genau das hatte Hester wissen wollen, obwohl sie wünschte, es wäre eine andere gewesen! Dann hatte Sir Herbert Rathbone also wieder mal angelogen – er hatte eine der Schwestern öfter genommen als andere! Aber warum? Und warum gerade Dora? Für kompliziertere Operationen? Für fortgeschrittene Schwangerschaften, wenn die Wahrscheinlichkeit größer war, daß die Schwester mitbekam, was da geschah? Oder bei wichtigeren Patientinnen – vielleicht bei Damen aus gutem Haus, Frauen, die eine furchtbare Angst um ihren Ruf hatten? Sah ganz so aus, als hätte er Dora vertrauen können – was wieder ganz andere Fragen aufwarf!
    Die einzige Möglichkeit, diese zu beantworten, bestand darin, Dora selbst aufzuspüren… Das gelang ihr nach Einbruch der Dunkelheit. Hester war so müde, daß sie sich nur noch danach sehnte, sich hinzusetzen und endlich die Last von Rücken und Beinen zu nehmen. Sie trug blutgetränkte Bandagen hinunter zum Ofen, um sie zu verbrennen (eine Wäscherin konnte da nichts mehr ausrichten), und Dora kam eben die Treppe herauf, einen Stapel Laken in den Armen. Sie trug die schwere Last, als handle es sich um Taschentücher.
    Hester blieb mitten auf der Treppe stehen, direkt unter der Lampe, und blockierte Dora den Weg; sie versuchte so zu tun, als wäre es reiner Zufall.
    »Ich habe eine Freundin, die sich den Prozeß anguckt«, sagte sie, nicht ganz so beiläufig, wie sie gewollt hatte.
    »Was?«
    »Na, Sir Herberts«, antwortete sie. »Es ist fast vorbei. Wahrscheinlich sprechen sie morgen oder übermorgen schon das Urteil.«
    Dora war auf der Hut. »Tatsächlich?«
    »Im Augenblick sieht es ganz so aus, als würde man ihn freisprechen.« Hester musterte sie aufmerksam.
    Wofür sie auch prompt belohnt wurde. Die Erleichterung ließ Doras Augen aufleuchten, irgend etwas in ihr

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