Im Schatten der Tosca
nichts konnte sie aus dem Konzept bringen, einen Weltuntergang hätte sie sicher gar nicht gemerkt.
Ein schlaksiger junger Mann war genauso theaterbesessen wie Mariana. Er sauste durchs Haus, von der Bühne hinauf in die Direktion, hinüber zu den Werkstätten, hinunter in die Kantine, er holte Kaffee, schleppte Requisiten herbei, er klopfte die Sänger rechtzeitig für ihren Auftritt aus den Garderoben heraus. Kurzum, als »Mädchen für alles« hatte er sich um alles zu kümmern, jeder schrie nach ihm, der Regisseur, die Garderobiere, die Beleuchter, die Sänger. Er wurde dauernd herumgescheucht und angeschnauzt für Dinge, für die er gar nicht zuständig war, aber man hatte sich so an ihn gewöhnt: »Himmeldonnerwetter, warum ist der Stuhl nicht da? Wo stand er denn vorher?«
Da Mariana gut aufgepasst hatte, sagte sie es dem jungenMann. Er hieß Björn Eksell, kam aus Göteborg und hatte gerade die Schule hinter sich gebracht.
»Ich kann nicht singen, nicht tanzen, ich will kein Schauspieler werden. Aber ich muss zum Theater. Das ist mein Leben. Ich weiß das«, erklärte er Mariana in einer kurzen Verschnaufpause.
Sie wurden schnell Freunde. Björn lud Mariana sogar zu sich nach Hause ein. Bald hatte Mariana das Gefühl, ihr Freund würde an der Oper zu schlecht behandelt. Er bekam nicht einmal ein Taschengeld. Weil er sich so eifrig um eine Stelle beworben hatte, nutzte man ihn jetzt aus. Er war beliebt, aber etwas ruppig sprangen doch einige mit ihm um, aus Nervosität oder einfach nur aus schlechter Laune, auch wenn sie ihm anschließend versöhnlich auf die Schulter klopften.
Ein hochgewachsener Schnösel erregte Marianas besonderes Missfallen. Ein blasierter Faulenzertyp. Er gehörte zum Regieteam, seine genaue Funktion ließ sich nicht ausmachen, allenfalls war er der Assistent des Assistenten, ein Hospitant oder ein geduldeter Zuschauer. Was er zu sehen bekam, schien ihn zu langweilen, wenn seine Miene überhaupt etwas ausdrückte, dann allenfalls: »Ich würde das alles anders machen.« Er hing, die Beine lässig übereinandergeschlagen, in einer Reihe hinter dem Regisseur – der ihn einfach nicht zur Kenntnis nahm. Wer immer an ihm vorbeiwollte, der stolperte über seine erstaunlich großen Füße, die in hässlichen gelblichen Schuhen steckten. Mit mürrischer Miene erwartete er eine Entschuldigung des Gestrauchelten.
Von der Bühne aus beobachtete Mariana sein unverschämtes Verhalten, sie hätte dem Kerl etwas gehustet. Die Art und Weise dagegen, wie er mit Björn umsprang, machte sie immer wütender. Denn ausgerechnet dieser Nichtsnutz kommandierte den Armen am meisten herum, schnippte nach ihm mit den Fingern, schickte ihn Kaffee holen und pfiff ihn an: »Ja wird’s bald?«
Mariana bekam es von der Bühnenrampe aus mit. Mit einemSprung war sie im Parkett und fauchte: »Lüpfen Sie doch selbst Ihren Hintern und holen Sie Kaffee. Da wird Ihnen kein Zacken aus der Krone brechen.« Für ein vertrauliches »Du« war ihr der Kerl viel zu unsympathisch. »Sind Sie Russe?«
Der Regieassistent kicherte, der Regisseur drehte sich um und blickte den jungen Mann zum ersten Mal an, während er langsam sagte: »Nein, der Herr ist aus Göteborg. Der Sohn des Polizeipräfekten, ein gütiges Schicksal hat ihn uns zugeteilt.«
»So, so«, meinte Mariana laut in das nun folgende Schweigen hinein und drehte sich auf dem Absatz um.
Sie ging schnurstracks in den dritten Stock hinauf zur Direktion und bat die Sekretärin um ein Gespräch mit dem Verwaltungsdirektor.
»Fräulein Pilovskaja, was kann ich für Sie tun, Sie fühlen sich doch hoffentlich wohl bei uns?«, fragte der Direktor überrascht.
»Oh ja«, sagte Mariana, »ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich hier bin, es gefällt mir ausgezeichnet. Aber es geht um diesen jungen Mann, Björn Eksell. Der ist wirklich liebenswürdig. Und bienenfleißig, er reißt sich fast in Stücke, wenn wir den nicht hätten, würde vieles nicht so gut klappen. Nur, und da frage ich Sie, ist so jemand als Laufbursche nicht zu schade? Es ist unglaublich, wie der sich in Opern auskennt, wie er sie liebt und was er von Stimmen versteht. Davon könnte sich manch einer etwas abschneiden.« Mariana hielt inne, sie hatte spontan dahergeredet, aber nun fügte sie rasch hinzu: »Bitte verstehen Sie mich recht, der junge Mann hat sich nicht beschwert, ganz im Gegenteil, er ist eifrig wie am ersten Tag, und er hat keine Ahnung, dass ich mich einmische.«
Der
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