Im Schatten der Tosca
schwimmend ihren Einzug in Wagners Opernwelt, als Floßhilde, eine der drei Rheintöchter. Auch ihre beiden Nixenschwestern waren Wagner-Neulinge. Der Regisseur hatte sich für die hübschen Mädchen allerhand turnerische Verrenkungen ausgedacht, an Seilen schwebend umgirrten sie den täppischen Alberich, aufreizende Schleiergewänder bedeckten nur knapp ihre Blößen. Darüber empörten sich die älteren Damen im Parkett, während die älteren und auch jüngeren Herrn sehr interessiert durch ihre Operngucker starrten. Die Presse lobte auch den glockenreinen Gesang.
Seit dieser Aufführung bekam Mariana von fremden Menschen Blumen hinter die Bühne geschickt, richtige Angebinde. Das beeindruckte ihre Familie, die zur Premiere erschienen war. Vor allem Alexej, Marianas Bruder, war zum ersten Mal stolz auf die Schwester:
»Siehst du, Kleider machen Leute. In deinen Lumpen, als altes Mütterchen, hast du mir nicht so gut gefallen.«
Als Nächstes trat sie in der ›Walküre‹ auf, als eine der Wotanstöchter durfte sie endlich eine Waffe schwingen, sie schickte gleich ein Foto an Erna und Astrid.
Im ›Siegfried‹ hatte sie nichts zu tun. In dieser Zeit bekam sie Urlaub für eine Gastrolle in Kopenhagen. Dort wurde ›Boris Godunow‹ in der Originalsprache gegeben, und weil man wusste, dass Mariana Russisch konnte, bot man ihr die Rolle des jungen Fjodor an. Zudem wollte man Kontakt aufnehmen mit der jungen Sängerin. Auch Oslo hatte schon Interesse gezeigt, aber aus Termingründen hatte Mariana bisher immerabsagen müssen. Jetzt genoss sie den Abstecher in die Fremde, Kopenhagen gefiel ihr, dort kam es ihr weltläufiger vor als in Stockholm.
Dann aber musste sie eilig zurück nach Göteborg, denn in der ›Götterdämmerung‹ wurde sie gleich doppelt eingesetzt. Wiederum als Floßhilde und zusätzlich als eine der Nornen. Zwei Tage vor der Premiere erkrankte die Waltraute. Eine Zweitbesetzung gab es nicht, Mariana hatte an der Opernschule die Partie studiert, über Nacht frischte sie ihre Kenntnisse auf. Jetzt war sie wirklich enorm beschäftigt: In eine düstere Kutte gehüllt, musste sie mythische Webarbeit beraunen, leicht geschürzt den eigensinnigen Helden Siegfried umschmeicheln. Oder in voller Walkürenmontur die Schwester Brünnhilde, die für einen unseligen Augenblick lang glücklich Verliebte, warnen. Vergeblich, umso größer war ihr Erfolg beim Publikum. Auch die Presse war begeistert: Die »sehr erfolgversprechende junge Künstlerin« wurde nun plötzlich zur »großartigen Gestalterin«. So etwas nannte man einen Durchbruch.
Prompt bekam sie ein Angebot aus Stuttgart. Das war in der Opernwelt eine hervorragende Adresse, gerade für junge Sänger, für die sich das Haus besonders interessierte. Es ließ sie durch Späher überall ausfindig machen und bot ihnen gute, mehrjährige Verträge. Ein Engagement in Stuttgart galt als große Chance.
Auch Mariana empfand es so. Sie schaute in Björns Schulatlas nach, sie nahm sogar einen Zirkel: Dieses Stuttgart lag mitten im europäischen Festland, es schien so etwas wie ein Nabel Europas, nun ja, nicht Wien, nicht Paris, nicht Berlin. Aber das war gut so, dorthin hätte sich Mariana noch nicht getraut. Sie fühlte, wie das Fernweh nach ihr griff. Göteborg war der erste Schritt gewesen, gut, dass sie ihn getan hatte. Sie hatte viel gelernt, Erfahrung gesammelt, jetzt war sie keine Anfängerin mehr. Die nächste Etappe durfte ruhig größer sein.
Bevor sich Mariana nach vielen Abschieden auf die große Reise machte, kaufte sie zwei köstlich duftende, edle Lederkoffer. Sie kosteten sie eine Monatsgage, ein Spottpreis für zwei treue Reisegefährten rund um die Welt.
Stuttgart gefiel Mariana auf Anhieb. Die Stadt war von grünen Hügeln umgeben. Doch was da wuchs, waren nicht nur Bäume und Büsche, sondern auch Reben, die Weingärten reichten bis an die Häuser heran. Aus ihnen wurde ein süffiger, »räser« Wein gekeltert, den die Stuttgarter am liebsten selbst tranken, in ziemlichen Mengen, das nannten sie dann »ein Viertele schlotzen«. Und wer keinen Wein hatte, trank Most, Apfel- und Birnbäume wuchsen ja überall.
Die ganze Stadt schien opernnärrisch zu sein. Die Sänger wurden geliebt und verhätschelt, man grüßte sie selig auf der Straße, betrat einer von ihnen einen Laden, eilte der Besitzer herbei und bediente eigenhändig die hohe Kundschaft, und selbstverständlich murrte keiner der anderen Kunden, sie strahlten ihren bewunderten
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